Kommentar von Dr. Borris Orlikowski, Geschäftsführer der DLC Distributed Ledger Consulting GmbH

 

Am 6. März 2019 veröffentlichte der Bankenverband sein Diskussionspapier zu Wertpapieren mittels Distributed Ledger Technologie (DLT) (abrufbar unter folgendem Link: https://bankenverband.de/fachthemen/finanzmaerkte/diskussionspapier-zu-wertpapieren-mittels-dlt), welches einige überaus interessante Aussagen enthält.

In einem am 6. März veröffentlichten Papier des Bankenverbandes (BdB) diskutiert dieser mögliche Auswirkungen der Distributed Ledger Technologie (Blockchain) auf Wert“papier“emission und -handel. Im Folgenden werden die Kernaspekte der Verlautbarung vorgestellt und die diesbezüglichen Implikationen für unterschiedliche Finanzmarktteilnehmer beleuchtet.

Bereits der erste Satz des Papiers überrascht durch seine offensive Formulierung. So konstatiert der BdB ohne Hinzufügung abschwächender Formulierungen, dass „die Weiterentwicklung neuer Technologien künftig auch andere Formen der Wertpapieremission ermöglicht als mittels Urkunde“. Darauffolgend wird ausgeführt, dass dieser Fakt Änderungen in den Prozessen hinsichtlich Wertpapierverwahrung und -abwicklung sowie hinsichtlich Kapitalmaßnahmen und ggf. Handel nach sich ziehen „könnte“.

Beschäftigt man sich ein wenig intensiver mit diesen Fragestellungen wird schnell klar, dass der Bankenverband die größte Umwälzung in der Finanzindustrie seit mehreren Dekaden richtig erkannt hat und nun in der herausfordernden Position ist, einerseits die Interessen der ihm angehörenden Unternehmen zu vertreten und gleichzeitig eine so progressive Rolle einzunehmen, dass Deutschland im internationalen Wettbewerb nicht den Anschluss verliert. Diesen Spagat vollzieht derzeit im Übrigen auch die BaFin, welche vor kurzem den ersten sogenannten „Security Token“ (STO) mit Wertpapierprospekt billigte (also ein Wert“papier“ ohne „papier“) und somit europaweit eine begrüßenswerte Führungsposition einnahm.

Der BdB vertritt in seiner Veröffentlichung die richtige Auffassung, dass Aufsichts- und Zivilrecht technikneutral ausgestaltet werden sollten und Emissionen von urkundenlosen und urkundenbasierten Emissionen grundsätzlich gleichzustellen sind. Zudem wird ausgeführt, dass unterschiedliche Gesetze im Wettbewerb zueinander stehen und es insbesondere im Kontext europäischer oder globaler Phänomene von Bedeutung sei, unterschiedliche Rechtsmeinungen zu harmonisieren.

Trotz des ansonsten erstaunlich progressiven Ansatzes ist die Beschränkung des Beitrags auf „permissioned“ Ledger (also Netzwerke mit einer beschränkten Anzahl an Akteuren) nicht überraschend. Denn die im Bankenverband vertretenen Unternehmen wären bei der Durchsetzung öffentlicher Ledger für Transaktionen von Wert“papieren“ (sogenannte „permissionless“ Ledger) in der Tat mit noch größeren Herausforderungen konfrontiert, als dies ohnehin schon der Fall ist.

Konkret führt der Bankenverband aus, dass „[…] aus rein technischer Sicht bisher benötigte Intermediäre, die zum Beispiel für Wertpapiertransaktionen aus Vertrauensgesichtspunkten erforderlich waren, überflüssig werden. Die DLT bietet somit völlig neue Möglichkeiten, um wert- und vertrauensbasierte Geschäftsprozesse vollständig zu digitalisieren und damit effizienter zu gestalten.“ Weiter heißt es: „Um auch in Deutschland die Weiterentwicklung von technischen Innovationen nicht zu behindern und auch internationale Entwicklungen zu berücksichtigen, sollte das bestehende Recht angepasst werden.“

An dieser Stelle können verschiedene Finanzmarktteilnehmer substanzielle Veränderungen ihres Geschäftsmodells erwarten. So ist beispielsweise davon auszugehen, dass die Emission von Wert“papieren“ einem maßgeblichen Wandel unterliegen wird, da die seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr angepassten Prozesse durch DLT deutlich effizienter, kostengünstiger und darüber hinaus auch noch sehr viel sicherer sowie für den Staat transparenter ausgeführt werden können. Darüber hinaus könnte beispielsweise die heutzutage notwenige Zentralverwahrung bei Clearstream ersatzlos gestrichen werden; bei Nutzung von „permissionless Ledgern“ für die Abwicklung würden darüber hinaus alle bislang zentral von Banken angebotenen Infrastrukturen (Handelsplattformen, Depotführung etc.) obsolet.

Im Hinblick auf den rechtlichen Aspekt schlägt der BdB vor, sogenannte „DLT-Wertpapiere“ („Security Token“) als Wertrechte auszugestalten, da eine Regelung analog des Bundesschuldenwesengesetzes (BSchuWG) am einfachsten umzusetzen wäre. In diesem Zuge wird zugleich über die Schaffung eines „qualifizierten digitalen Registers“ (QDR) nachgedacht (also eines permissioned Ledgers, welches nach Vorstellung des BdB dann wenig überraschend von den durch ihn vertretenen Marktakteuren betrieben werden sollte).

Interessanterweise wird im Papier explizit darauf eingegangen, dass eine physische Verbriefung von Wertpapieren bereits heutzutage ausdrücklich nicht erforderlich sei (§ 2 Abs. 1 WpHG) und auch die Zulassung oder Einbeziehung von Wertpapieren im regulierten Markt an einer inländischen Börse keine wertpapiermäßige Verbriefung voraussetze (§§ 32 ff. BörsG). Ebenso wird weder im WpPG noch in der EU-Prospektverordnung (VO 2017/1129) noch im VermAnlG ein „Papier“ gefordert. Wir gehen aus diesem Grund auch davon aus, dass die BaFin noch in diesem Jahr eigenkapitalähnliche Security Token mit Prospekt genehmigen wird.

Das Papier besticht durch inhaltlich richtige Ansätze in Kombination mit einem guten Verständnis für die Technologie. Selbstverständlich liegt es aufgrund des Absenders in der Natur der Sache, dass die in unseren Augen ebenfalls umsetzbaren Möglichkeiten auf permissionless Ledgern überhaupt nicht diskutiert werden. In diesem Zuge sei die Randbemerkung gestattet, dass der erste von der BaFin zugelassene STO überhaupt komplett auf permissionless Ledgern läuft und keinerlei Finanzintermediär aus der klassischen Welt mehr an dem diesbezüglichen Geschäft teilnimmt.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Blockchain-Technologie noch in den Kinderschuhen befindet und in unseren Augen ungefähr mit dem Internet Anfang/Mitte der 1990er Jahre verglichen werden kann. Zugleich ist das Disruptionspotenzial immens, wobei der Einfluss sicherlich nicht auf die Finanzindustrie beschränkt bleiben wird. In Analogie zum genutzten Beispiel Internet sehen wir an dieser Stelle aber die schnellsten maßgeblichen Umwälzungserscheinungen. Durch die Demokratisierung der Informationsver- und -übermittlung wurde das Internet zum maßgeblichen Disruptor für alle etablierten Medienmarken oder Unternehmen wie beispielsweise die Post. Die Blockchain demokratisiert das Gut Vertrauen, welches wiederum das absolute Kernprodukt eigentlich jedes Finanzmarktakteurs darstellt.

Bedeutet dies, dass alle Banken, Verwahrstellen, depotführenden Stellen und Asset Manager dem sicheren Tod geweiht sind? Sicherlich nicht. Aber es werden diejenigen bestehen bleiben beziehungsweise in besonderem Maße profitieren, die sich bereits frühzeitig mit der Technologie beschäftigen.

Über den Autor

Dr. Borris Orlikowski ist seit über 30 Jahren in der Finanzwelt tätig. Er kennt die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute genauso wie Privat- und Großbanken. Aufgrund seiner Leitungserfahrung im KVG- und Verwahrstellenbereich hat er profunde Kenntnisse in der Administration von OGAW und AIF. Er verfügt über eine Zulassung als KVG-Geschäftsführer und verantwortet bei der Distributed Ledger Consulting insbesondere das Thema Corporate Governance sowie Riskmanagement und Reporting.

Über die Distributed Ledger Consulting GmbH

Die Distributed Ledger Consulting GmbH (DLC) bietet semiprofessionellen und professionellen Finanzmarktakteuren vollumfängliche Beratungsdienstleistungen rund um Distributed Ledger Technologien (DLT) wie beispielsweise Blockchains. Neben genereller Beratung zum Thema DLT und deren Integration in bestehende Prozesse widmet sich die DLC allen mit Digital-Assets assoziierten Themen im Finanzmarktumfeld. Dies sind beispielsweise die Verwahrung von Digital-Assets sowie das Assessment unterschiedlicher Token, Fonds und Digital-Asset-Manager. Über Kooperationspartner werden darüber hinaus auch steuerliche und regulatorische Fragestellungen abgedeckt.

 

Verantwortlich für den Inhalt:

DLC Distributed Ledger Consulting GmbH, An der Alster 21, 20099 Hamburg, Tel: +49 251 981156-4070,www.distributed-ledger-consulting.de