Von Sven Schubert, Senior Investment Strategist bei Vontobel Asset Management:

 

Die Politik von US-Präsident Joe Biden wird vielfältige Auswirkungen auf die Schwellenländer haben. Seine Haltung gegenüber China mag weniger unberechenbar als die seines Amtsvorgängers sein, doch beim Thema digitale Vorherrschaft wird auch er nicht minder wachsam sein. Daneben dürften die höheren Staatsausgaben der USA der Nachfrage nach Waren aus Schwellenländern zugutekommen, wohingegen der rasche und starke Anstieg der US-Renditen eher eine schlechte Nachricht darstellt.

Einer der Vorteile hinsichtlich der Haltung von US-Präsident Joe Biden gegenüber China besteht darin, dass diese berechenbarer ist und weniger Risiken für die Weltpolitik und den Welthandel birgt. Im Gegensatz zur äußerst aggressiven Strategie der Regierung unter Donald Trump scheint Joe Biden stärker auf Konsens zu setzen und verspricht, bisherige Allianzen, die unter Trump Schaden genommen haben, zu reparieren. So beabsichtigt Biden beispielsweise die Beziehungen zu Ländern mit gemeinsamen Interessen im Südchinesischen Meer, zu denen Australien, Kanada, Japan und Indien gehören, zu stärken.

Das globale Wettrennen um die digitale Vorherrschaft wird für Biden weiterhin von großer strategischer Bedeutung sein. Und so könnten zwei ehemalige Mitarbeiter des US-Außenministeriums, Jared Cohen und Richard Fontaine, mit ihrem Vorschlag offene Türen einrennen, eine Technologieallianz gleichgesinnter Demokratien zu schmieden, um eine gemeinsame Reaktion auf aktuelle digitale Herausforderungen wie Datenschutz und Datensicherheit zu erarbeiten.

Doch auch Bidens politische Instrumente werden sich von denen seines Vorgängers deutlich unterscheiden. So ist es weniger wahrscheinlich, dass er China gegenüber auf Handelszölle setzen wird, da diese letztlich der amerikanischen Wirtschaft schaden. Stattdessen wird er sich wohl auf die Stärkung der Wettbewerbsposition seines Landes mithilfe des Infrastrukturprogramms konzentrieren.

Selbst wenn die USA an ihrer starken Orientierung nach Innen festhalten und sich auf die Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und ihrer Unabhängigkeit konzentrieren sollte, so ist es eher unwahrscheinlich, dass die geforderte Rückverlagerung von Lieferketten ins eigene Land zu einer massiven Verschiebung der Produktionskapazitäten weg von Asien führen wird. Für einen solchen Schritt ist der chinesische Konsumentenmarkt für US-Unternehmen viel zu bedeutend. So generieren amerikanische IT-Unternehmen mittlerweile rund 25 Prozent ihrer Umsätze in Asien. Zwar haben einige Firmen in den vergangenen Jahren Teile ihrer Produktion in die USA verlagert, doch international tätige Unternehmen haben im Allgemeinen ein starkes Interesse daran, über Produktionskapazitäten in der Nähe ihrer wichtigsten Vertriebsmärkte zu verfügen. Auch wenn in den letzten Jahren einige Produktionskapazitäten aus China abgezogen wurden, so hat sich dennoch gezeigt, dass die Kapazitäten letztlich in Asien geblieben sind. Die meisten Produktionsstätten wurden lediglich in andere Länder rund um China verlagert – eine Entwicklung, von der insbesondere Vietnam profitieren konnte.

Während der US-Infrastrukturplan eher auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Landes ausgerichtet ist, dürfte das Anfang des Jahres angekündigte Konjunkturpaket, der American Rescue Plan, spürbare Folgen für die Schwellenländer haben. Das Konjunkturpaket soll den US-Binnenkonsum ankurbeln, was wiederum die Nachfrage nach Waren aus dem Ausland beleben dürfte. Die gestiegenen Wachstumserwartungen für die USA können sich auf die Schwellenländer jedoch auch negativ auswirken, insbesondere wenn die US-Renditen so schnell wie im Februar und März dieses Jahres steigen. Denn diese Entwicklung führte zu einem Ausverkauf in den Schwellenländern, da sich die Renditedifferenz zwischen den beiden Regionen verringert und die Risikoaversion der Marktteilnehmer zugenommen hatte. Ein deutlicher Anstieg der US-Renditen über die Marke von zwei Prozent noch im Laufe dieses Jahres könnte weitere Schwellenländer zu einer Straffung ihrer Geldpolitik zwingen und in der Folge das Wachstum belasten.

Im regionalen Vergleich dürfte sich Asien als deutlich widerstandsfähiger gegenüber einem Anstieg der US-Renditen erweisen als andere Regionen. So wird beispielsweise Lateinamerika mit seiner wesentlich höheren Schuldenlast gestiegene US-Renditen weniger gut verkraften können, auch wenn die Region in der Regel von der Ausstrahlung des Wachstums in den USA profitiert. Mexiko ist der größte Exporteur von Arbeitskräften in die USA, und so sind die Überweisungen von Mexikanern aus den USA in ihre Heimat ein wichtiger Treiber des dortigen Konsums. Diese Überweisungen nehmen für gewöhnlich zu, wenn die US-Konjunktur anzieht. Während der Pandemie stiegen die Überweisungen aus den USA auf vier Prozent des mexikanischen BIP. Auch das 2018 unterzeichnete Freihandelsabkommen zwischen Mexiko und den USA macht die enge wirtschaftliche Verflechtung der beiden Länder deutlich. Trotz dieser positiven Impulse verharren die Wachstumsraten der Länder südlich der USA auf niedrigem Niveau. Dies erklärt sich durch den Umstand, dass Lateinamerika als Ganzes die Pandemie vergleichsweise schlecht bewältigt hat. In Brasilien standen die prekären Staatsfinanzen des Landes und Bolsonaros Verharmlosung der Pandemie einer schnelleren Erholung im Weg, während in Mexiko die aktuelle Regierung bei ausländischen Investoren für Verstimmung sorgt. Unter anderem hat der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador die von seinem Vorgänger angestoßene Reform des Energiesektors rückgängig gemacht, was dazu führte, dass die Zuflüsse von ausländischen Direktinvestitionen in der zweiten Jahreshälfte 2020 auf das niedrigste Niveau seit 1997 sanken.

 

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