Marktkommentar – Anleihen von Yann Lepape, Senior Portfoliomanager bei Vontobel:

 

Als Folge der jüngst aufgetretenen Covid-19-Variante Omicron gerieten die Märkte in Aufruhr und gaben angesichts der geringen Liquidität in der Breite nach. Die EU kündigte Grenzschließungen an und strich alle Flüge aus dem südlichen Afrika. Auch in verschiedenen anderen Ländern wurden rasch weitere Reiseverbote verhängt. Doch was bedeutet diese jüngste Entwicklung nun für Anleiheinvestoren und worauf sollten sie achten?

Hohe Inflation bei starkem Wirtschaftswachstum

Der derzeitige makroökonomische Kontext ist spezifisch und ähnelt eher Neuland als einem zyklischen Muster. Die Leitlinien der Zentralbanken sind schwer zu lesen: Fed-Chef Powell signalisierte diese Woche seine Unterstützung für eine schnellere Rücknahme des Ankaufprogramms der Fed und ist offen für Zinserhöhungen. Jetzt geht es nur noch um die Inflation und darum, inwieweit sie die Einkommen der Haushalte beeinträchtigt und das Wachstum gefährdet.

Das Wachstum verlangsamt sich, allerdings von einem sehr hohen Niveau aus und bleibt weit über dem historischen Wachstum. Befinden wir uns in der Mitte eines starken Konjunkturzyklus, und haben noch viele Quartale mit respektablem Wachstum vor uns? Oder stehen wir am Ende eines kurzen Zyklus, bei dem eine Rezession bevorsteht?

Fakt ist, dass die wirtschaftlichen Veränderungen von Quartal zu Quartal stark ausfallen können, wie wir im dritten Quartal 2021 gesehen haben. Was die Inflation angeht, so wird sie wahrscheinlich über dem Niveau der letzten Jahrzehnte liegen. Sind 3 Prozent Inflation ein Problem, wenn das Wachstum über 3 Prozent liegt? Dies ist ein plausibles Szenario für die USA bis Ende 2022. Die Unternehmensgewinne sind an das nominale und nicht an das reale Wachstum gekoppelt. Aber der Markt sorgt sich nur um die Inflation, ohne zu erkennen, dass das Wachstum auch stark sein wird. Kurzfristige Faktoren haben Vorrang vor langfristigen Überlegungen. Das ist der Grund für die Unbeständigkeit der Märkte.

Die Rolle der Fed

In dieser Woche hat Powell ein beschleunigtes Tapering vorgeschlagen und das nächste Meeting des Federal Open Market Committee (FOMC) wird dies wahrscheinlich bestätigen. Unseres Erachtens geht es bei der Beschleunigung des Tapering darum, den mittelfristigen Handlungsspielraum der Fed zu vergrößern. So könnte sie in einem Szenario agieren, in dem sie mit einer strukturellen Inflation konfrontiert wäre, die höher als erwartet ausfällt und z. B. durch einen Anstieg der Mieten und Löhne verursacht wird. Sollte Omicron zu einer neuen Pandemie werden, würden die Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage länger bestehen bleiben und die Preise länger hoch halten.

Die unmittelbare Reaktion des Anleihemarktes auf Powells Ansage waren höhere Renditen für US-Staatsanleihen und eine flachere Zinskurve. Dies war zu erwarten, wenn man davon ausgeht, dass die Wirtschaft eher früher als später auf eine Rezession zusteuert. Wenn die Richtung keine Überraschung war, kann die Bewegung als relativ gedämpft angesehen werden. Das bedeutet, dass eine beträchtliche Anzahl von Zinserhöhungen bereits eingepreist war, und der Markt auf dieser Grundlage gesund bleibt. Das Timing der Fed könnte sich als nicht schlecht erweisen, trotz der Abwärtsrisiken für die Wirtschaft, sollte die jüngste Covid-19-Variante Omicron zu einer ernsten Gefahr werden.

Zwei mögliche Szenarien

Das Auftauchen von Omicron hat der ohnehin schon komplexen Dynamik und der erwarteten Konvergenz hin zu einem weniger volatilen und dauerhafteren Wachstums-/Inflationsmuster erhebliche Unsicherheit hinzugefügt. Je nach Szenario haben sich bereits erhebliche Wertreserven gebildet.

  1. Wenn eine neue Pandemie wie im Jahr 2020 auftritt, dann ist ein stagflationäres Umfeld quasi sicher: Die Inflation wird sich nicht wie erwartet im Jahr 2022 abschwächen. Die Zentralbanken müssen dann härter durchgreifen und damit das Wachstum eindämmen, das unter den Erwartungen liegen und möglicherweise vorübergehend schrumpfen würde. Die Spreads würden sich weiter ausweiten, die Zinskurven abflachen und die Aktien schrumpfen.
  1. Andererseits könnte sich die Covid-19-Variante dank kurzlebiger Abschottungsmaßnahmen und effizienter Impfstoffe als weniger beunruhigend erweisen als die Mutationen vorangegangener Wellen. Ein Großteil der negativen Auswirkungen könnte bereits in verschiedenen Anlageklassen eingepreist sein, z. B. in Schwellenländeranleihen in lokaler Währung oder in Hochzinspapieren.

In jedem Fall wird die Fähigkeit, unerwünschte makroökonomische Risiken zu beseitigen und die richtige Auswahl der Anleihen, unabhängig von der Anlageklasse, von erheblicher Bedeutung sein. Der Markt wird wahrscheinlich zwischen diesen beiden Szenarien schwanken, bis wir mehr über die Variante wissen. Eines ist somit sicher: Die Volatilität wird uns erhalten bleiben.

 

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