Marktkommentar von Erik Knutzen, CIO von Neuberger Berman

 

Die „Wall of Worry“: Steigende Aktienkurse trotz vieler Zweifel

Die sogenannte Wall of Worry, also eine Wand der Sorge, wird mit einem reifen Zyklus assoziiert, in dem Aktien zwar noch Wachstumspotenzial haben, aber Zweifel an den Fundamentaldaten aufkommen, die dann mit steigender Volatilität einhergehen. Dieser zweifelhafte Zustand ist es, der spätzyklische Investitionen zu einer Herausforderung macht.

Es ist daher nicht überraschend, dass diese „Sorgenwand“ mit all ihren Zweifeln in der Spätphase des aktuellen Zyklus, besonders hoch und rutschig ist. Wer sie überwinden will, darf sein Gleichgewicht nicht verlieren und muss wachsam sein.

Kurzfristige Wirtschaftsnachrichten und Schlagzeilen verunsichern Investoren

Nach einem dramatischen Ausverkauf Ende 2018 haben sich Aktien im laufenden Jahr bislang kräftig erholt. Doch wenn sich Investoren vor dem Hintergrund der geringen Marktliquidität auf schwächere Konjunkturdaten einstellen, können starke Kursgewinne ebenso wahrscheinlich sein wie starke Einbrüche. Daher sollten Anleger den Kursanstieg keinesfalls als grünes Licht werten. Wenn überhaupt, haben sich mit der Erholung der Aktien die Wirtschaftsdaten verschlechtert und die Marktrisiken sind gestiegen.

Vor allem in Europa bleibt die Konjunktur schwach. Italien befindet sich in einer technischen Rezession, und nach gemischten Umfragedaten und schwachen Vorab-Ergebnissen des Flash Purchasing Managers’ Index (PMI) – den ersten Schätzungen der Einkaufsmanagerindizes – zeigten die revidierten deutschen BIP-Zahlen für das vierte Quartal am Freitag, dass Deutschland einer technischen Rezession nur äußerst knapp entgangen ist.

Beim Außenhandel rückt der 1. März näher – und damit die Deadline für eine Vereinbarung zwischen den USA und China. Die bisherigen Fortschrittsberichte geben einerseits Anlass zur Hoffnung, mahnen andererseits aber auch zur Vorsicht. Hinter den Kulissen wurde dem Weißen Haus unterdessen ein Gutachten zu der Frage vorgelegt, ob importierte Autos ein Sicherheitsrisiko gemäß Artikel 232 des amerikanischen Trade Expansion Act sein können. Der US-amerikanische Präsident könnte dann Zölle anordnen, wie letztes Jahr auf Stahl.

Unklar ist, ob und wann die Ergebnisse des Gutachtens veröffentlicht werden und was der Präsident dann tun wird. Wie wir von Neuberger Berman letztes Jahr schrieben, können Zölle auf Autos einen folgenreichen Wachstumsschock auslösen. Für die japanische und die deutsche Automobilindustrie, die schon jetzt unter einem Einbruch des Dieselabsatzes leiden, hätten sie enorme Folgen – aber auch für Europa als Ganzes. Und ein harter Brexit würde die Lage nur noch schlimmer machen.

Warum also kaufen Investoren trotz all der bestehenden Zweifel?

Ein Hauptgrund für die steigenden Aktienkurse sind die großen Notenbanken. Die US-amerikanische Notenbank hat sich im Januar gemäßigt geäußert und die Europäische Zentralbank hat bestätigt, dass sie vor zehn Tagen über neue langfristige Refinanzierungsgeschäfte, sogenannte Targeted Longer-Term Refinancing Operations (TLTROs), gesprochen hat. Zudem deutete der Gouverneur der japanischen Notenbank letzte Woche an, dass eine lockerere Geldpolitik in Vorbereitung sei. In China könnte das überraschend starke Kreditwachstum der erste Hinweis darauf sein, dass die expansive Geldpolitik funktioniert, und in ein paar Monaten könnten auch die Einkaufsmanagerindizes wieder steigen.

Dies sind gute Nachrichten. Die Anpassungen der Geldpolitik werden wesentlich zu einer weichen Landung der Weltwirtschaft beitragen, die wir noch immer für die wahrscheinlichste Entwicklung halten. Es sollte aber allen bewusst sein, dass die Notenbanken letztlich auf erhebliche Risiken reagieren.

Diversifikation bleibt wichtig

Der seit dem Ende der Finanzkrise laufende Marktzyklus, in dem Aktienkurse immer wieder und trotz aller Zweifel stark zugelegt haben, reift am Ende dieses Zyklus zu einer großen „Wand der Sorge“ heran. Und in einer Endphase eines Zyklus, der vom Quantitative Easing bestimmt wird – jener Put-Option der Notenbanken, die aus schlechten Nachrichten gute und aus guten schlechte macht – mussten Investoren schon immer mit dem komplexen Zusammenspiel zwischen nachlassendem Wachstum, expansiver Geldpolitik und potenziell irritierenden Extremrisiken zurechtkommen.

Die aktuelle Gold-Rallye verdeutlicht dieses Dilemma: Bedeutet sie, dass die Zinsen noch länger niedrig bleiben, was den Konjunkturzyklus verlängert? Oder ist sie ein Vorbote eines vorzeitigen Zyklusendes? Ein Investor muss in der Endphase des Zyklus beides in Betracht ziehen.

Eine weiche Landung scheint zwar denkbar, aber sorgfältige Portfoliodiversifikation bleibt wichtig. Dazu zählt auch weiterhin eine konsequente Diversifikation durch die Kürzung von Aktien- und Kreditrisiken, wenn die Märkte steigen.

Damit sichern sich Investoren nicht nur für den Fall ab, dass die weiche Landung ausbleibt, sondern verringern auch die Verluste, wenn die Volatilität zurückkehrt. Gut diversifizierte Investoren sind oft weniger stark gezwungen, in volatilen Zeiten bei illiquiden Märkten zu verkaufen. Sie können schwankende Kurse besser nutzen und Positionen aufstocken, die von einer Fortsetzung des Zyklus profitieren – und das zu günstigeren Bewertungen. Das kann auch die Verlustrisiken begrenzen.

 

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