Ein Kommentar von Ivan Mlinaric, Geschäftsführer der Quant.Capital Management GmbH

 

Als Risikomanager ist es eine der wichtigsten Aufgaben, in guten Zeiten die Gefahr zu sehen und in schlechten Zeiten die Zukunft nüchtern zu analysieren. Derzeit sind die Zeiten schlecht – aber rein analytisch betrachtet, dreht sich der Ausblick. Es ist Zeit für etwas Optimismus.

Politik und Wirtschaftswissenschaft bewegen sich wie Pendel: Nachdem noch nach dem Ausbruch in Wuhan die Gefahren des neuartigen Coronavirus für Gesellschaft und Wirtschaft verharmlost wurden, schlug dies vor wenigen Wochen in das gegenteilige Extrem um. Die Politiker stehen im Wettbewerb um die restriktivsten Maßnahmen, die Volkswirte überschlagen sich mit Horrorszenarien: Rezession, Depression, die schlimmste Depression aller Zeiten oder gar der Zerfall des Wirtschaftssystems? Es scheint keine Grenzen zu geben. Die Börsen spielen Jo-Jo, die Infektionszahlen steigen, Unternehmen bleiben geschlossen. Die Lage ist verheerend für eine auf Wirtschaftswachstum gepolte Gesellschaft. Was soll angesichts dieser nackten Fakten positiv stimmen?

Es sind die weit gezogenen Rahmenbedingungen, die Anlass zu Optimismus geben. So sehen wir eine starke Welle internationaler Kooperation und Hilfsbereitschaft. Die EU hatte zur Hochzeit der Krise medizinische Hilfsgüter nach China geschickt. Jetzt hilft China mit Hilfsgütern für Italien, genau wie Russland medizinisches Material und Personal dorthin sendet. Deutschland nimmt Patienten aus Frankreich und Italien auf, Infektionsschutzkleidung wird international geteilt, die Liste lässt sich fortsetzen. Dazu kommt, dass wir ein Geraderücken der Prioritäten in Wirtschaft und Gesellschaft beobachten. Die Gesundheit der Menschen wird dem wirtschaftlichen Wohlstand vorgezogen. Die prompt proklamierte Abkehr von der schwarzen Null sowie die Zusagen schneller und unbürokratischer Hilfen unterstreichen dies.

Wer jetzt denkt, dass diese Krise noch lange, vielleicht allzu lange dauern wird, unterschätzt die unglaubliche Innovationskraft der Menschheit. Weltweit arbeiten Labore gemeinsam an der Entwicklung eines Impfstoffes. In den USA wurde Virologen für ihre Forschung gerade „Summit“, der schnellste Supercomputer der Welt, zur Verfügung gestellt, dessen eigentlicher Einsatzzweck in der Nuklearforschung liegt. Hierzulande werden die derzeit leistungsfähigsten Computerressourcen in Europa – eine davon ist das Forschungszentrum in Jülich – genutzt, um Wirkstoffe zur Entwicklung von Medikamenten gegen das Coronavirus zu simulieren. In der Suche nach einem Impfstoff scheint der wissenschaftliche Erfolg zumindest zeitweise über den wirtschaftlichen Erfolg gestellt. Fast unbemerkt arbeiten Forscher daneben an vielversprechenden Ansätzen für Medikamente zur Behandlung der Krankheit. Diese könnten viel früher zur Verfügung stehen als gedacht und die Pandemie beherrschbar machen.

Dazu kommen weitere Entwicklungen, die positiv stimmen: In der Krise lernen wir wieder die öffentlichen Gesundheitssysteme zu schätzen, die am Wohle des Menschen ausgerichtet sind und nicht primär am Profit. Wir sehen, dass unser immer noch starkes Gesundheitssystem dazu beiträgt, Todesopfer zu vermeiden. Wir haben die Kapazitäten, unseren Nachbarn in der Not zu helfen.

Für die Kapitalmärkte stimmt hoffnungsvoll, dass uns einmal mehr die Anfälligkeit und Zerbrechlichkeit eines Systems vor Augen geführt werden, das auf kurzfristigen finanziellen Erfolgen beruht. Wenn wir unsere Lektionen diesmal lernen, werden wir dem realen wirtschaftlichen Erfolg in Zukunft mehr Beachtung schenken als den Erfolgen des finanziellen Engineerings. Dazu kommt, dass die aktuelle Situation wie ein Turbo wirkt und die Durchsetzung modernen digitaler Technologien in der breiten Wirtschaft deutlich beschleunigen wird. In Italien wurden 3D-Drucker dazu verwendet, kurzfristig benötigte Ersatzteile für Beatmungsgeräte herzustellen. In China wurden autonome Fahrzeuge dafür eingesetzt, den öffentlichen Raum zu desinfizieren. Autonome Roboter werden genutzt, um die U-Bahn-Schächte in Hongkong zu desinfizieren. Überlastetes medizinisches Pflegepersonal in den USA und China wird durch neue, teilautonome Systeme unterstützt. So werden nicht nur die Mitarbeiter entlastet, sondern auch die Verbreitung des Virus beim Personal verlangsamt.

Die Reduktion finanz-magischer Übertreibungen, ein massiver Innovationsschub und steigende Produktivität durch digitale Technologien sowie ein Zurückbesinnen auf unser Wertesystem, begleitet von weitreichenden fiskalpolitischen Maßnahmen werden für Investoren Chancen bieten und nachhaltige Ertragsquellen eröffnen. Und auch, wenn es fast zynisch klingt: Für langfristig orientierte Anleger mit ausreichender Risikotragfähigkeit ergeben sich günstige Einkaufskurse.

Die Krise ist noch nicht vorbei, aber sie könnte möglicherweise schneller enden, als dies von vielen Beobachtern erwartet wird. Fast sicher ist allerdings auch, dass eine Erholung unter starken Schwankungen erfolgen wird. Wer jetzt – auch angesichts der zum Teil starken Tagesgewinne – eine schnelle und schnurgerade Aufwärtsbewegung erwartet, wird enttäuscht werden. Insofern ist es für uns als Risikomanager wieder an der Zeit, im Positiven auch die Gefahren zu sehen und einen Schutzschild dagegen zu bauen. Denn wer möchte nach den Verlusten und angesichts mancher Aufwärtsbewegungen das gerade wieder Gewonnene schon wieder verlieren? Ein Risikomanagement mit neutralem Blick ist die beste Chance, in unruhigen Zeiten einigermaßen ruhig schlafen und neue Chancen nutzen zu können.

 

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