Die europäischen Banken sehen sich in den nächsten drei Jahren mit Kreditverlusten von über 400 Milliarden Euro als Folge der Covid-19-Krise konfrontiert.

 

Diese Zahl könnte sich im Fall eines zweiten umfassenden Lockdowns auf 800 Milliarden Euro verdoppeln. In Kombination mit weiter sinkenden Ertragsmöglichkeiten ergibt sich eine belastende Gemengelage, die das europäische Bankensystem nur durch ein Zusammenwirken von Industrie, Aufsichtsbehörden und Politik bewältigen kann. Das zeigt der aktuelle European Banking Report „Aim For Revival. Not Just Survival.“ der Strategieberatung Oliver Wyman. Das deutsche Banksystem ist aufgrund hoher Kostenquoten und niedriger Profitabilität besonders herausgefordert, in einen wirtschaftlich nachhaltigen Zustand zu kommen.

Die Coronakrise macht auch vor dem Bankensektor nicht halt. Ganz im Gegenteil: Sie führt dazu, dass die europäischen Banken in den nächsten drei Jahren mit Kreditverlusten von über 400 Milliarden Euro rechnen müssen. Sollte ein zweiter, ähnlich weitreichender Lockdown aufgrund einer stark wachsenden Anzahl Covid-19-Infizierter in Europa nötig sein, könnten sich die Verluste auf 800 Milliarden Euro verdoppeln.

„Die zu erwartenden Verluste von 400 Milliarden Euro wären zweieinhalb Mal so hoch wie die gesamten Kreditverluste in der Branche in den vergangenen drei Jahren“, sagt Jochen Peppel, Risiko-Experte bei Oliver Wyman und Co-Autor des Reports. „Jedoch entspricht das weniger als 40 Prozent der Verluste, die in der globalen Finanzkrise 2008-10 verzeichnet wurden.“

„Die gute Nachricht ist, dass die Banken im Jahr 2020 deutlich besser kapitalisiert sind als in der letzten Krise. Die Kreditverluste werden daher nach heutiger Einschätzung das System nicht zum Umfallen bringen“, ergänzt Thomas Schnarr, Partner und Leiter der Financial Services Practice bei Oliver Wyman in Deutschland. „Was die Situation aber kompliziert macht, sind niedrigere Margen sowohl im Privat- als auch im Firmenkundengeschäft. Wir rechnen mit einem Rückgang der Erträge von 30 Milliarden Euro bis 2022.“

Im Bericht legt Oliver Wyman dar, dass sich im Jahr 2020 aufgrund dieser Entwicklungen über die Hälfte des Systems – gemessen am gebundenen Kapital – in einer Grauzone bewegen könnte. In dieser Grauzone können zwar regulatorische Kapitalvorgaben noch eingehalten werden. Die geringe Profitabilität führt jedoch zu hoher Krisenanfälligkeit und Investitionen in transformatorische Vorhaben werden deutlich erschwert oder gar unmöglich. Fünf Prozent der Banken werden sogar in einem Bereich rutschen, in dem die Kapitalisierung unter das regulatorische Minimum sinkt und die Profitabilität nicht für eine Re-Kapitalisierung ausreicht.

„Die Bankenbranche muss zweifelsohne sehr große Anstrengungen unternehmen. Um aber erfolgreich sein zu können, wird die enge Begleitung und das Engagement von Aufsicht und Politik notwendig sein, etwa in den Bereichen der Konsolidierung und der Europäischen Bank- und Kapitalmarktunion. Ansonsten droht ein weiter geschwächter Bankensektor, der nicht mehr in der Lage ist, Wachstum zu finanzieren und hinter den Rest der Welt zurückfällt“, sagt Peppel. Mit Blick auf die deutschen Banken ergänzt Schnarr: „Auch wenn aufgrund des hohen staatlichen Engagements in der Krisenbegrenzung die Kreditverluste in Deutschland zumindest in der kurzen Frist geringer ausfallen könnten als in anderen Ländern: Deutsche Banken dürfen ihre Ambitionen und Anstrengungen nicht verringern, sondern müssen sie vielmehr weiter verstärken. Die Herausforderung für das deutsche Bankensystem, nachhaltig profitabel zu wirtschaften, muss weiterhin höchste Priorität genießen.“

Über den Report

Der European Banking Report von Oliver Wyman nutzt eigene Modelle zur Schätzung der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung von Banken unter Berücksichtigung von Ausfallraten bei Privat- und Firmenkunden, Rückstellungen, risikogewichteten Aktiva, Erträgen und anderen Bankenkennzahlen. Die Gesamtzahlen werden auf europäischer Ebene (Großbritannien, EU und Norwegen) dargestellt, ebenso wie ein Ausblick auf die Erträge der Geschäftsbereiche und die Granularität der Auswirkungen auf die Erträge und Bilanzen der Banken in neun europäischen Ländern – Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Spanien, den Niederlanden, Italien, Schweden, Griechenland und Portugal.

 

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