Auf dem Weg zu einer neuen multipolaren Weltordnung

 

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich in der westlichen Welt ein Konsens über die Vorteile der liberalen Demokratie, des Marktkapitalismus und des freien Welthandels unter der Schirmherrschaft der Welthandelsorganisation herausgebildet. Die Schwellenländer öffneten sich für globale Märkte und etablierten konventionelle politische und finanzielle Institutionen. Im Gegenzug reformierten die Industrieländer die eigenen Volkswirtschaften, um Zugang zu neuen, schnell wachsenden Märkten sowie zu billigeren Waren und Krediten zu erhalten.

Dieser Konsens gerät jetzt unter Druck. China wird sich bald zur größten Volkswirtschaft der Welt entwickeln und ist zunehmend sowohl Konkurrent als auch Ergänzung zu den wirtschaftlichen und politischen Interessen der entwickelten Welt. Die Schwellenländer im Allgemeinen dürften ihre demografischen Vorteile nutzen und perspektivisch zum wichtigsten Wachstumsmotor der Weltwirtschaft avancieren.

Die Globalisierung der Märkte und die Liberalisierung der Volkswirtschaften haben einerseits auf einem globalen Level zu einer wachsenden Annäherung des Wohlstands geführt. Andererseits haben sie Ungleichheiten lokal auch verschärft, insbesondere in den Industrieländern. Die Finanzkrise hat dann ganz maßgeblich zu den Wahlerfolgen populistischer und nationalistischer Plattformen sowie zur Kritik an den Institutionen des Marktkapitalismus und des Welthandels beigetragen.

Die globale Ost-West-Ordnung des 20. Jahrhunderts wurde in den 90er- und 2000er-Jahren erst durch eine Nord-Süd-Ordnung abgelöst. In den letzten zehn Jahren seit der Finanzkrise hat sich diese nun zu einer wirklich globalen, aber gleichzeitig instabileren multipolaren Weltordnung weiterentwickelt, die die Zukunft maßgeblich bestimmen wird.

Für Anleger in Europa und den USA ergeben sich daraus zwei zentrale Schlussfolgerungen: Die Unterscheidung zwischen Industrieländern und Emerging Markets löst sich zunehmend auf; und das Engagement institutioneller Anleger in den Schwellenländern wird aufgrund des Endes des Anleihen-Bullenmarktes in den westlichen Ländern stark zunehmen.

  1. Emerging Markets werden Mainstream

Noch immer sind Anleger in den Emerging Markets unterdurchschnittlich vertreten, jedenfalls wenn man die Portfoliostruktur mit der Struktur des Welt-BIP vergleicht. Etwa 13 Prozent des MSCI All Country World Index entfallen auf die Emerging Markets, doch die Schwellenländer stellen etwa ein Viertel der weltweiten öffentlichen und privaten Schulden und sogar fast 40 Prozent des Welt-BIP – ein Anteil, der weiter steigen wird. Die unterdurchschnittliche Emerging-Market-Gewichtung in den Portfolios dürfte weiter korrigiert werden, wenn die Emerging Markets zum wichtigsten Wachstumstreiber der Weltwirtschaft werden.

Jüngste Entwicklungen, von der chinesischen Initiative “Belt and Road” über die Expansion der Fremdkapitalmärkte in lokaler Währung seit der Finanzkrise bis hin zur Einbeziehung der riesigen chinesischen Onshore-Equity- und Anleihemärkte in globale Benchmark-Indizes, deuten bereits auf diesen Übergang hin.

Die Liberalisierung der chinesischen Onshore-Märkte für internationale Investoren haben allein in puncto Größe eine immense Bedeutung. Entsprechend seiner großen Wirtschaftsleistung hat China den nach Marktkapitalisierung zweitgrößten Aktienmarkt der Welt. An seinen verschiedenen Segmenten sind über 4.000 A-Shares notiert, mit einer Gesamtmarktkapitalisierung von 12 Billionen US-Dollar. Der Markt für Renminbi-denominierte Anleihen, die onshore gehandelt und abgewickelt werden (der sogenannte CNY-Markt), ist ebenfalls fast 12 Billionen US-Dollar groß. Zum Vergleich: Der Markt für US-Dollar-denominierte Anleihen und Offshore-Markt (CNH-Markt), haben zusammen nur 82 Milliarden US-Dollar Volumen. Gemessen am Handelsvolumen ist der Renminbi jetzt die sechstwichtigste Währung der Welt; sein Anteil am weltweiten Devisenhandel hat sich seit 2013 verdoppelt.

Chinesische A-Shares sind erstmals im Juni 2018 in den MSCI Emerging Market Index aufgenommen worden, und nach der Einführung der Bond-Connect-Handelsplattform im Jahr 2017 werden Staatsanleihen und Notenbanktitel vermutlich im April 2019 Teil des Bloomberg Barclays Global Aggregate Index. Dann wird es für internationale Investoren wesentlich leichter, in sie zu investieren. Wenn sie auf chinesische Anleihen verzichten, steigt für sie sogar der Tracking Error gegenüber dem Index. Es ist daher zu erwarten, dass der chinesische Anleihemarkt Milliarden US-Dollar an Mittelzuflüssen verzeichnen wird.

Es ist davon auszugehen, dass das Engagement institutioneller Investoren an den Emerging Markets sowohl differenzierter als auch umfassender wird. Da der Anteil der außerbörslichen Märkte insgesamt weiter steigt, glauben wir auch, dass zu den Anlagen in börsennotierte Emerging-Market-Titel immer mehr Investitionen in nicht-börsennotierte Schwellenländertitel hinzukommen werden. Vielleicht kommen Investoren sogar zum Schluss, dass sie in manchen Schwellenländern und Frontier-Märkten eher in binnenorientiertere, nicht börsennotierte Unternehmen investieren sollen als in Firmen, die an oft sehr kleinen Börsen notiert sind. Diese Börsen werden nicht selten von lokalen Marktführern mit internationalem Geschäft dominiert. Außerdem dürfte die ESG-Analyse beim Emerging-Market-Research eine wesentlich größere Rolle spielen, nicht zuletzt, weil die Börsen der großen Schwellenländer oft strengere Reporting-Anforderungen haben als die USA.

In den nächsten zehn Jahren werden niedrigere Erträge Anreize schaffen, um in wachstums- und ertragsstärkere Märkte zu investieren. Wir glauben daher, dass sich die gegenwärtige Unterscheidung zwischen Industrieländern und Emerging Markets auflösen wird. Die Investoren dürften diese ohnehin leicht willkürliche Trennung aufgeben und in der multipolaren Welt von morgen stattdessen viel globaler nach den besten Anlagemöglichkeiten Ausschau halten.

  1. Die Ära der „Großen Disinflation“ ist bald vorbei

Die Globalisierung, der technologische Wandel sowie eine alternde Weltbevölkerung sorgten insgesamt für eine Verringerung der Inflation bei gleichbleibendem Preisniveau. Diese sogenannte Disinflation wurde durch die Finanzkrise noch verstärkt. Jetzt erwarten wir jedoch, dass dieser Trend zu Ende geht.

Der Digital Price Index des Konsumforschungsinstituts Adobe Analytics, der die Entwicklung der Online-Preise misst, zeigt, dass die Online-Deflation insgesamt deutlich stärker ist als die Deflation insgesamt. Dies hat gravierende Folgen, wenn der Anteil des E-Commerce am Einzelhandel zunimmt. Die damit einhergehende Sharing Economy nutzt bislang teilweise ungenutzte Werte wie leerstehende Räume (Airbnb) und Autos (Uber, Lyft), was ebenfalls für sinkende Preise sorgt. Die Folgewirkungen, beispielsweise der Hang der Millennials, weniger Gebrauchtwagen zu kaufen, sorgen dafür, dass die Disinflation auf andere Teile der Wirtschaft übergreift.

Zugleich wachsen Löhne und Produktivität langsamer als früher. Dies liegt an einer Vielzahl von Faktoren: Dazu gehören eine schnell alternde und kurz vor dem Ruhestand stehende berufstätige Bevölkerung, die Automatisierung von Fabriken und sogar von Dienstleistungsjobs sowie die Entmachtung der Gewerkschaften. Weitere Faktoren sind die mangelnden Investitionen von Unternehmen und Regierungen aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheit im privaten Sektor, der hohen Verschuldung des öffentlichen Sektors sowie den immer größeren Belastungen der Wirtschaft durch Regulierungen.

So real die disinflationären Wirkungen des technologischen Wandels sind, halten sie sich in ihrem Ausmaß am Ende womöglich doch in Grenzen und werden durch gesellschaftliche Entwicklungen beschränkt. Die Alterung der Bevölkerung dürfte zum Teil dadurch ausgeglichen werden, dass Millennials sowohl in den Industrieländern als auch in den Emerging Markets jetzt in ihre produktivste Lebensphase eintreten und damit vielleicht für steigende Löhne sorgen werden.

China, das als Billigproduzent für die ganze Welt die Disinflation jahrzehntelang exportiert hat, erlebt gerade einen raschen Wandel hin zu einer unabhängigeren, konsumfreudigeren Volkswirtschaft. Auch dürfte die Urbanisierungsrate im Land langsam abnehmen, sodass Chinas Auswirkungen auf die Weltinflation insgesamt ausgewogener werden. Die zunehmende Autarkie Chinas passt zum weltweiten Trend einer langsameren Globalisierung, der durch populistische und nationalistische Bewegungen in den Industrieländern noch verstärkt werden könnte. Wenn dies zu mehr Protektionismus führt, dürften die Verbraucherpreise steigen.

Nach den letzten zehn Jahren möchte man glauben, dass uns die niedrige Inflation für immer erhalten bleibt. Auch wenn eine neue Ära der Inflation unwahrscheinlich ist, wird sich die Dynamik hier in den kommenden Jahren verändern. Einerseits wirft die hohe weltweite Verschuldung die Frage auf, wie sicher vermeintlich risikoarme Assets wirklich sind. Das Ende der „Großen Disinflation“ und des Anleihen-Bullenmarktes der letzten 30 Jahre wirft zudem auch die Frage auf, wie Investoren die Risiken in langfristigen Anlageportfolios diversifizieren sollen und wie attraktiv inflations-sensitive Assets im Vergleich zu anderen Anlagemöglichkeiten sind.

 

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