„Sell in May and go away, but remember to come back in September“ – eine von vielen Börsenweisheiten, die jahreszeitenbedingt wieder häufiger zu hören ist.

Zwar ist an vielen Börsenweisheiten etwas Wahres dran, doch Anleger, die sich daran orientieren, übersehen oft die gravierenden Nachteile.

Aktuelle Markteinschätzung von Nermin Aliti, Leiter Fonds Advisory der LAUREUS AG PRIVAT FINANZ

Selbst wenn die Sonne strahlt, es grünt und blüht – an der Börse gilt der Mai nicht als Wonnemonat. Genauer gesagt, ist der gesamte Sommer bei Börseninvestoren nicht sonderlich beliebt. Denn im Gegensatz zu den Monaten Oktober bis April halten die Monate Mai bis September immer wieder böse Überraschungen für Anleger bereit – und die durchschnittliche Entwicklung an der Börse verläuft in der langfristigen Betrachtung dieser Monate unterdurchschnittlich. Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass an der berühmten Börsenweisheit „Sell in May and go away, but remember to come back in September“ durchaus etwas dran sein könnte. Doch Vorsicht: Anleger sollten sich dennoch nicht davon leiten lassen – und zwar gleich aus mehreren Gründen.

 „Sell in May“-Weisheit hat mehr als nur einen Haken

Zum einen ist der langfristige Performance-Durchschnitt der Wintermonate den bekannten Analysen zufolge nur geringfügig besser als in den Sommermonaten. Vergleichen Anleger zum Beispiel die Entwicklung des breiten Index STOXX Europe 600, der durchgängig gehalten wird („Buy-and-hold“-Strategie), mit einem Verkauf des Index Ende Mai und einer Reinvestition Ende September, so zeigt sich langfristig ein Vorteil für die „Sell-in-May“-Strategie: Buy-and-hold brachte zwischen 1987 und 2023 im Durchschnitt pro Jahr ein Plus von 7,2 Prozent, „Sell-in-May“ hingegen 9 Prozent. Aber: Einige Ausnahmejahre verzerren den langjährigen Durchschnitt. Ohne die drei stärksten Börsenjahre von 1998, 2001 und 2002 hätte „Sell-in-May“ gegen die „Buy-and-hold“-Strategie verloren. Überhaupt traf die Börsenweisheit in 22 der betrachteten 36 Einzeljahre nicht zu. Ohne starke Ausnahmewinter an der Börse würde „Sell-in-May“ also kaum als Börsenweisheit gelten.

Zum anderen zielt „Sell in May and go away“ wie viele andere Börsenweisheiten auf kurzfristige Entwicklungen an der Börse ab, die Anleger besser ignorieren sollten. Wer an der Börse erfolgreich sein will, braucht vor allem eine individuell passende Strategie mit passender Asset-Allokation zur Streuung der Anlagerisiken sowie einen langen Atem. Denn auch das haben Analysen ergeben: Wer langfristig am Aktienmarkt investiert und Kursschwankungen aussitzt, kann mit einer durchschnittlichen jährlichen Wertsteigerung seines Aktiendepots um acht Prozent rechnen.

Für diejenigen, die sich an Börsenweisheiten orientieren, besteht hingegen das Risiko, zu häufig Wertpapiere zu kaufen und zu verkaufen. Das verursacht nicht nur Handelskosten, die durch die vermeintlich bessere Börsenperformance erst wieder verdient werden müssen. Mit der Konzentration auf die Wintermonate laufen Anleger auch noch Gefahr, die besten Börsentage zu verpassen – und das würde sich auf lange Sicht extrem negativ auf die Gesamtrendite niederschlagen.

Ein wesentlicher Aspekt in der ganzheitlichen Betrachtung der Marktaktivität ist die Berichtssaison, gefolgt von den Dividendenausschüttungen der Unternehmen. Besonders jene Firmen, die ihre Quartalszahlen nach dem ersten Quartal im April oder Mai veröffentlichen, können einen zusätzlichen Einfluss auf die Kursentwicklung haben. Dies geschieht unabhängig von traditionellen Börsenmustern oder den Sommermonaten.

Deutlich besser als „Sell in May“

Anstatt gemäß einer Börsenweisheit stoisch Aktien am Stichtag zu kaufen und zu verkaufen, ist es aus Anlegersicht deutlich cleverer, Marktkorrekturen und Tiefststände für gezielte Käufe zu nutzen und in Hochphasen bei einzelnen Investments auch mal Gewinne mitzunehmen. Dieses antizyklische Investieren – also Kaufen, wenn viele verkaufen und umgekehrt – ermöglicht es Anlegern, höhere Renditen zu realisieren und nach dem Kauf gefallener Aktien von deren Erholung besonders zu profitieren. Und: Geeignete Marktphasen für diese antizyklische Vorgehensweise gibt es zu jeder Jahreszeit. Einen guten Zeitpunkt zu erwischen ist allerdings nicht immer einfach, daher können für Anleger aktiv gemanagte Investmentfonds eine sehr gute Anlagemöglichkeit sein.

Eine Alternative sind regelmäßige Käufe in kleinen Tranchen. Das geht am besten mit Sparplaninvestments, die es sowohl für Fonds als auch Einzelaktien gibt. Dank der regelmäßigen Zukäufe profitieren Anleger vom sogenannten Cost-Average-Effekt. Dieser sorgt dafür, dass für die festgelegte monatliche Summe mehr Aktienanteile erworben werden, wenn der Kurs des Wertpapiers niedriger notiert und entsprechend weniger Aktien im Depot landen, wenn der Kurs eher an einem Allzeithoch steht. Auf diese Weise erwirbt der Anleger Aktien zu Durchschnittskosten, profitiert von deren langfristiger Performance und kann sich das anspruchsvolle Market Timing sparen.

Die zwei besten Börsenweisheiten

Eine solide, langfristige Anlagestrategie sollte sich nie auf Börsenweisheiten verlassen. Zumal einige Börsenkenner davon ausgehen, dass „Sell in May and go away“ in einem US-Präsidentschaftswahljahr wie 2024 ohnehin nicht greift. Diese Ausnahme wurde ebenfalls statistisch beobachtet: In US-Wahljahren gibt es oftmals zunächst starke Sommermonate, danach warten die Investoren zunächst den Wahlausgang ab. Sollte es in diesem Jahr wieder so sein, würden Anhänger der Sell-in-May-Regel womöglich viel Performance verpassen und im Spätherbst zu teuer reinvestieren. Besser sollten Anleger zwei andere Börsenweisheiten berücksichtigen: „Hin und her macht Taschen leer“ und „Lege nie alle Eier in einen Korb“. Diese beiden Börsenweisheiten sind unbestritten.

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