Die Corona-Wirtschaftskrise dürfte in zahlreichen Ländern zu mehr Firmenpleiten führen als die Große Rezession infolge der Weltfinanzkrise vor 13 Jahren. Das geht aus der jetzt veröffentlichten Insolvenzprognose des weltweit zweitgrößten Kreditversicherers Atradius hervor.

 

Mit Frankreich, der Schweiz, Belgien, Spanien, Portugal und Norwegen sind auch mehrere große Außenhandelspartner Deutschlands unter den Volkswirtschaften, bei denen es 2020 und 2021 zu Rekordzahlen bei den Firmenpleiten kommen könnte. Den stärksten Anstieg der Insolvenzen erwartet Atradius in diesem Jahr in der Türkei, in den USA, in den Niederlanden und im Vereinigten Königreich. Der Kreditversicherer prognostiziert, dass die weltweiten Firmenpleiten bis Ende 2020 um 26 % gegenüber dem Vorjahr zunehmen.

„Ein Unterschied zwischen der Großen Rezession und der Corona-Pandemie ist die Vorlaufzeit, mit der die Realwirtschaft die Krise zu spüren bekommt. Während sich das Platzen der US-Immobilienblase vor 13 Jahren erst Monate später auf die Industrie und die einzelnen Branchen auswirkte, haben die im März einsetzenden Schutzmaßnahmen die Geschäftstätigkeiten aller Unternehmen unmittelbar getroffen“, sagt Dr. Thomas Langen, Senior Regional Director Deutschland, Mittel- und Osteuropa von Atradius. „Die anschließend erlassenen Gesetze zur Stabilisierung der Wirtschaft mildern den Konjunktureinbruch und die Insolvenzzahlen zwar noch ab. Dennoch sind die Unsicherheiten im Exportgeschäft bereits jetzt so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr, unter anderem, weil mit den Rettungspaketen auch zahlreiche Firmen am Leben gehalten werden, die unter normalen Bedingungen nicht mehr am Markt bestehen könnten. Die weitere Entwicklung des Zahlungsrisikos im internationalen Handel hängt davon ab, wie die Pandemie in den kommenden Wochen verläuft, welche Schutzmaßnahmen getroffen werden müssen und wie lange Rettungspakete in Kraft sind.“

In Spanien könnte es zu mehr als doppelt so viele Insolvenzen kommen wie 2008/2009

Besondere Vorsicht ist laut Atradius derzeit bei Abnehmern in Ländern geboten, in denen lange und restriktive Corona-Schutzmaßnahmen gelten, wodurch die Produktion und der Verkauf von Waren und Dienstleistungen stark eingeschränkt ist. Daneben trifft die Krise jene Länder besonders hart, deren Wirtschaft stark vom Tourismus und von Dienstleistungen abhängt – also von Sektoren, die durch die Corona-Pandemie nahezu zum Erliegen gekommen sind.

Vergleicht man das Insolvenzniveau der Jahre 2008 und 2009 mit dem in 2020 und 2021 prognostizierten Level, zeigt sich, dass bei Geschäften mit spanischen Firmen infolge der Corona-Pandemie ein mehr als doppelt so hohes Zahlungsausfallrisiko besteht wie zur Hochphase der Finanz- und Wirtschaftskrise. Nur geringfügig kleiner sind die Unsicherheiten bei Geschäften mit portugiesischen Firmen. Ein Grund hierfür ist der hohe Anteil der Tourismusbranche an der spanischen und portugiesischen Wirtschaftsleistung. Unternehmen, die von den in- und ausländischen Besuchern abhängen, erleiden unmittelbar gravierende Umsatzeinbrüche, sobald Reisebeschränkungen in Kraft treten. Schnell entstehen dann Liquiditätsengpässe.

Unsicherheiten steigen mit dem Auslaufen der Rettungspakete

Auch in Frankreich, dem zweitgrößten Außenhandelspartner Deutschlands, sowie in der Schweiz und Norwegen dürften die Insolvenzzahlen bis Ende 2021 höher sein als zum Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise. Ursache hierfür ist die zeitweise Aufhebung der Insolvenzmeldepflicht. Aus Sicht von Atradius ist es sehr wahrscheinlich, dass die Firmenpleiten in den Ländern im kommenden Jahr stark ansteigen, sobald die Sonderregeln aufgehoben werden.

Dass auch in Belgien die Insolvenzzahlen in diesem und im kommenden Jahr höher sein dürften als 2008 und 2009, ist unter anderem mit dem verhältnismäßig starken Konjunkturrückgang zu erklären, ebenso der starke Anstieg der Firmenpleiten in den Niederlanden (Ende 2021: +39 % gegenüber 2019). Bei der Türkei (2020: +41 % Insolvenzen gegenüber 2019) kommt erschwerend hinzu, dass die fiskalpolitischen Maßnahmen den Firmen des Landes nur unzureichend zusätzliche Liquidität verschaffen.

Brexit und Corona: Doppelter Stress für die Konjunktur des Vereinigten Königreichs

Der voraussichtliche Anstieg des Zahlungsrisikos im Vereinigten Königreich (2021: +25 % gegenüber 2019) wird außer vom Konjunkturrückgang durch Corona auch von den weiter anhaltenden Brexit-Unsicherheiten getrieben. Immer noch nicht konnten sich die britische Regierung und die Europäische Union auf ein Ausstiegsabkommen einigen. Sollte es dabei bleiben, gelten für Geschäfte Großbritanniens mit den Mitgliedsstaaten der EU ab 2021 die Regeln der Welthandelsorganisation.

USA: Anstieg der Insolvenzen um 39 % in diesem Jahr

Auch in den USA dürfte die Wirtschaftsleistung infolge der Corona-Pandemie erheblich zurückgehen – wenn auch nicht ganz so stark wie in vielen südeuropäischen Ländern. Dennoch wird in den Vereinigten Staaten in diesem Jahr die Zahl der Firmenpleiten beträchtlich ansteigen (+39 % gegenüber 2019). Ein Grund hierfür ist, dass das Lohn- und Gehaltssicherungsprogramm der US-Regierung (PPP, Paycheck Protection Program) einen geringeren Effekt hat als viele Hilfsmaßnahmen für Unternehmen in EU-Staaten.

 

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