Norman Villamin, Chief Investment Officer (CIO) Wealth Management der Union Bancaire Privée (UBP) rechnet damit, dass die Krise große Auswirkungen auf die globale politische Dynamik in den USA, der EU und Asien hat.

 

In einem aktuellen Marktkommentar schreibt er, dass es bereits seismische Verschiebungen wie die Entscheidung Deutschlands, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen, sowie die Diskussionen in Finnland über die NATO-Mitgliedschaft gebe. Solche Entwicklungen werden sich Villamin zufolge nachhaltig auf die Investitionslandschaft auswirken. Auf kürzere Sicht könnten die Aussicht auf steigende Energiepreise und potenziell höhere Agrarrohstoffpreise zusätzliche Stagflationsrisiken für die Volkswirtschaften in aller Welt mit sich bringen.

Europa ist stärker von Abwärtsrisiken betroffen

Europa sei am stärksten den wirtschaftlichen Risiken des Konflikts ausgesetzt. Während von der Europäischen Zentralbank (EZB) erwartet wurde, dass sie die Zinssätze in den nächsten zwei Jahren deutlich anhebt, wird sie ihre Agenda überarbeiten müssen, um den geopolitischen und makroökonomischen Auswirkungen Rechnung zu tragen. Der zunehmende Druck durch die Energie-, Getreide- und Metallpreise könnte die Inflation in der Eurozone um 0,3 % bis 1,5 % erhöhen. Die Inflationsrate dürfte in den kommenden Quartalen bei über 5 % im Jahresvergleich bleiben, wobei die Auswirkungen bis 2023 anhalten dürften.

Chefökonom revidiert Basisszenario wegen Rohstoffrisiken

Mit der weiteren Entwicklung der Krise sieht Patrice Gautry, Chefökonom der UBP, das Basisszenario der Bank für das laufende Jahr in Frage gestellt. „Wir haben bereits erhebliche Veränderungen in den Mitteilungen der Zentralbanken festgestellt. Da Russland und die Ukraine wichtige Exporteure von Rohstoffen, Metallen und Getreide sind, werden sich die Risiken für die Weltwirtschaft über den mit diesen Exporten verbundenen Handel und die globale Inflation ausbreiten.“ Auf Russland entfielen 30-40 % der Gaseinfuhren der EU und 10 % der weltweiten Rohöleinfuhren. Russland und die Ukraine kontrollierten zusammen mehr als ein Drittel der weltweiten Weizenexporte und fast 15 % der weltweiten Maisexporte. „Selbst wenn der Konflikt nicht lange andauert, wird er langfristige Folgen haben und ein hohes Maß an Unsicherheit mit sich bringen”, so Gautry.

„Der Konflikt wirft uns in ein Umfeld des Kalten Krieges zurück, das zu einem Anstieg der Militärausgaben führen wird, und wirft auch die Frage der Energieunabhängigkeit auf. Selbst wenn einige Verhandlungen schnell abgeschlossen werden sollten, wird der Druck auf die Preise für Verteidigung, Energie, Rohstoffe und Getreide noch lange Zeit zu spüren sein. Große Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage werden wahrscheinlich auch nach dem ersten Schock des Konflikts bestehen bleiben“, schreibt Gautry.

Szenarien mit „begrenzter Auswirkung“ und „Tail-Risiko-Szenario“

Die Investmentexperten der UBP entwerfen zwei Szenarien: In einem Szenario mit „kurzfristigen und begrenzten Auswirkungen” würde die Krise das Wachstum der Eurozone um 0,3-0,5 % verringern; dies würde jedoch nicht ausreichen, um den Konjunkturzyklus zum Entgleisen zu bringen, und das Wachstum dürfte auf Jahressicht bei 3,5 % liegen.

Wenn die Risiken anhaltend hoch blieben und der Aufwärtsdruck auf die Energiepreise nicht nachlasse, sähen die Experten die Gefahr eines „Tail-Risk”-Szenarios, bei dem Deutschland und Italien wahrscheinlich am stärksten betroffen wären. Insgesamt könnte dieses Szenario das Gesamtwachstum der Eurozone auf Jahressicht um bis zu 1,7 % auf rund 2,0 % verringern.

„Aktuell halten wir das erste Szenario für wahrscheinlicher, aber es hängt alles von den geopolitischen Entwicklungen und der Dauer der Krise ab”, so Gautry.

Bei der Geldpolitik erwarten die Experten, abgesehen von einer zusätzlichen Flexibilität, keine größeren Änderungen der mittelfristigen Strategie. Vorrangig gehe es darum, die notwendige Liquidität durch Ankaufprogramme bereitzustellen, um eine Störung oder Fragmentierung der Märkte zu vermeiden. Die EZB werde auch darauf bedacht sein, das Wachstum zu erhalten, und möglicherweise Entscheidungen über Zinssätze verschieben.

Risiko eines langfristigen Konflikts

„Die Landschaft verändert sich weiterhin sehr dynamisch. Diese Situation bringt neue Herausforderungen und Auswirkungen für die Anleger mit sich”, schreibt Norman Villamin. Seiner Meinung nach klingen die Auswirkungen geopolitischer Schocks auf die Märkte zwar in der Regel nach sechs bis zwölf Monaten ab, aber es kommt auf die Art des Schocks an. Die Situation könnte sich jedoch zu einem längeren bewaffneten Konflikt ausweiten, der sich auch auf die Weltwirtschaft auswirken würde. „Der Konflikt hat eindeutig das Potenzial, sich in die Länge zu ziehen”, warnt Villamin.

In früheren Fällen, wie dem Iran, hätten sich die SWIFT-Sanktionen als sehr wirksam erwiesen. Heute bedeutet dies, dass man sich einem Angebotsschock gegenübersehe. Infolgedessen werde es für die Zentralbanken sehr schwierig sein, die Inflationsziele zu erreichen. „Die Inflation in den USA erreichte im Januar 7,5 %; damit sie auf das Niveau vor der Pandemie von 2,5 % im Januar 2020 zurückkehrt, müssten unter anderem die Rohölpreise für den Rest des Jahres unter 85 USD/Barrel bleiben und die Agrarpreise bis zum Jahresende um 20 % gegenüber dem derzeitigen Niveau sinken – Umstände, die schon jetzt fast unmöglich zu erreichen scheinen“, rechnet Villamin vor.

Auswirkungen für Anleger

Angesichtes begrenzter Möglichkeiten bei der Erzielung inflationsbereinigter Renditen an den Anleihemärkten sollten Anleger nicht auf traditionelle Strategien zurückgreifen, sondern alternative Credit-Strategien in Betracht ziehen, um sich vor steigenden Zinsen und sich ausweitenden Spreads zu schützen. Inflationsgeschützte Wertpapiere hingegen dienten als Versicherung gegen Politikfehler von Fed bzw. EZB bei der Eindämmung der Inflation. Auf Aktienseite seien in der Vergangenheit steigende Inflationszyklen, in denen die Fed die Zinssätze erhöht hat, mit einem langfristigen Rückgang des Kurs-Gewinn-Verhältnisses einhergegangen. Ein schnelleres Gewinnwachstum habe jedoch in der Regel sinkende KGVs ausgleichen und bescheidene, positive Renditen erzielen können. „In diesem Zusammenhang ist es für Anleger von größter Bedeutung, selektiv zu bleiben und sich auf Qualitätsunternehmen mit guter Ertragsvisibilität zu konzentrieren“, schreibt Villamin. Asymmetrische Engagements über Hedgefonds und Optionsstrategien dürften ebenfalls zur Risikominderung beitragen.

 

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