Viele Verbraucher wünschen sich ein sogenanntes „Financial Home“ – eine zentrale Plattform, über die sie alle persönlichen Geldangelegenheiten gebündelt regeln.

 

Um die Wachstumschancen im entstehenden Markt für Komplettangebote zu nutzen, sollten vor allem Versicherer ihre Chancen für das Etablieren solcher Rundum-Sorglos-Angebote für private Finanzen nutzen und damit ihre Vertriebskanäle stärken und erweitern. Neben Technik-Investitionen ist dazu ein breiterer Umbau der Vertriebe nötig.

In privaten Geldangelegenheiten herrscht in vielen Haushalten ein Durcheinander, zahlreiche Dienstleister wetteifern parallel um Zugang und Kundenbindung. Ein typisches Szenario: Eine Filialbank verwaltet das Gehaltskonto, eine Online-Bank führt das Aktiendepot. Ein Versicherer unterstützt zusätzlich den Vermögensaufbau, während ein Zahlungsdienstleister beim Internet-Shopping die Geldtransfers abwickelt und eine Smartphone-App obendrein die Gesamtschau auf die Finanzen verspricht. „Für die Verbraucher ist die Lage alles andere als übersichtlich, die Gefahr unnötiger Kosten und finanzieller Fehlentscheidungen wächst“, sagt Dietmar Kottmann, Partner bei der Strategieberatung Oliver Wyman.

Für Ordnung bei persönlichen Geldangelegenheiten könnten übergeordnete Plattformen sorgen. Allerdings ist nicht klar, wer als Provider dieser Meta-Portale auftreten wird. Banken und Versicherungsunternehmen stehen hier mit Neo-Brokern und Neo-Banken im Wettbewerb, die aggressiv auf den Markt drängen. Entscheidend für den Erfolg solcher Financial-Home-Plattformen wird die Kundenansprache und das -vertrauen sein. Diese Tatsache öffnet Marktpotenziale für klassische Versicherungsunternehmen – sie verfügen über langfristige Kundenbindung und das notwendige Vertrauen, aber häufig nicht über die gewünschte Flexibilität, den individuellen Wünschen der Verbraucher auch nachzukommen. Dies sind die zentralen Ergebnisse aus über 30 detaillierten Kundeninterviews und -tests zu dem gebauten ITHM-Financial-Home-Prototypen. „Unsere Analysen haben klar gezeigt, dass Kunden künftig anders segmentiert und serviciert werden möchten. Nicht mehr die klassischen Unterscheidungen und Standardangebote nach Einkommen, Alter und Ausbildung sind gewünscht, sondern die Einbindung von Lebenszielen, Wünschen und individuellen Ereignissen“, erläutert Esther Prax, Programme Director des ITHM. „Dabei stehen vor allem auch transparente und nachvollziehbare Kostenstrukturen der Beratung und der Produkte im Fokus der Bedürfnisse. Einzelne Elemente und Angebote gibt es dazu schon am Markt, zum Beispiel von internationalen Start-Ups. Allerdings keine durchgängige Plattform, die das Kundenverhalten in allen Teilbereichen abdeckt,“ ergänzt Prax.

Neue Plattformen werden sich mit Erfolg etablieren, wenn sie nicht nur den zentralen Zugang zu den persönlichen Finanzen bieten, sondern diese auch umfassend verwalten und optimieren. Ein Wettlauf um diese lukrative Meta-Funktion hat bereits eingesetzt. Laut Prax haben Versicherer eine gute Ausgangsposition, um mit einem Rundum-Sorglos-Angebot beim Kunden zu punkten. „Die Ausgangslage ist für die Versicherer nicht schlecht, weil das Schützen und Vermehren von Vermögen zu ihren Kernkompetenzen zählt – mit jahrzehntelanger Erfahrung.“

Beträchtliche Nachfrage bei europäischen Konsumenten

In einer Umfrage in Deutschland, Italien, Frankreich, Großbritannien und Spanien hat Oliver Wyman ermittelt, dass ein beträchtlicher Teil der Verbraucher sich das Financial Home wünscht. Im Schnitt zeigten 33 Prozent der Befragten daran Interesse. In starken Bancassurance-Märkten wie Frankreich, Italien und Spanien werden sogar höhere Zustimmungswerte erreicht. Dort sind die Verbraucher schon stärker an Finanz- und Versicherungsangebote aus einer Hand gewöhnt. In Deutschland erreichte die Zustimmung immerhin 26 Prozent. „Für die Anbieter ergibt sich damit ein erhebliches Wachstumspotenzial“, sagt Kottmann, der bei Oliver Wyman das Beratungsgeschäft für Versicherungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz verantwortet. Er rechnet mit weiter steigenden Zustimmungswerten.

„Wir gehen davon aus, dass der Aufbau von Financial-Home-Lösungen innerhalb der nächsten Dekade an Fahrt aufnimmt“, sagt Kottmann. „Eine frühzeitige Positionierung wird einen Vorsprung bringen, wenn der Financial-Home-Trend an Dynamik gewinnt.“ Da sich die Vertriebsstrukturen der einzelnen Versicherer unterscheiden, sei auch der Pfad zu einem Financial-Home-Anbieter von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. „Wer das Potenzial des Financial Home für sich nutzen will, muss dafür eine individuelle Strategie finden“, sagt Kottmann.

Digitaler Privatbanker als Zukunftsvision

Die Diversität der Ansätze belegt ein Blick auf den deutschen Finanz- und Versicherungsmarkt: Anbieter wie Swiss Life Select oder MLP streben mit ihren analog gewachsenen Vertriebsorganisationen bereits einen ganzheitlichen Finanzberatungsansatz und zeigen durch ihr stark über dem Markt liegenden Wachstum, dass Allfinanz gefragt ist. Ebenso machen Plattformen wie Check24 oder Direktversicherer wie HUK24 Tempo mit stärker digital geprägten Ansätzen und demonstrieren das darin liegende Wachstumspotenzial. Das Geschäftsmodell für das Financial Home werde anfangs kein rein digitales sein, sagt Kottmann. Die Unternehmen müssen laut Analyse ihre Vermittler und Agenten davon überzeugen, über das reine Versicherungsangebot hinauszugehen und bei Ihnen Kunden das breitere Angebot glaubwürdig positionieren. „Die Branche steht nicht vor einem Technikproblem, sondern vor einem Transformationsproblem“, so Kottmann. Gelingen könne die breitere Aufstellung, indem zusätzliches Vertriebspersonal mit Finanzexpertise engagiert wird. Auch remote zugeschaltete Spezialisten in der Zentrale könnten den Vertriebskräften vor Ort helfen, bei Fragen etwa zu komplizierteren Finanzprodukten oder bei Spezialthemen wie Erbschaft die notwendige Kompetenz in den Beratungsprozess zu bringen.

Als ein Leitbild für das Financial Home sehen die Fachleute von Oliver Wyman die Privatbank. „Sie soll die Interessen ihrer Kunden vertreten und hat die Breite an Spezialisten, alle Lebenssituationen abzudecken“, sagt Kottmann. Allerdings bedienen Privatbanken nur eine kleine Zielgruppe vermögender Personen. „Ein digitaler, automatisierter Privatbanker als Synonym eines Financial Homes könnte künftig ermöglichen, dass sich auf lange Sicht jeder ein solches Angebot leisten kann. “Es sei für Versicherer sinnvoll, schon jetzt umzusteuern. „Versicherer sollten überlegen, ob sie damit beginnen, einen Pfad in diese Zukunftswelt zu bauen – mit immer umfassenderen Angeboten auch bei Finanzservices“, sagt Kottmann. „Die klassischen Player werden hier flexibler agieren müssen und künftig ihre Kernkompetenzen mit Know-how Partnern aus dem gesamten Ökosystem erweitern,“ ergänzt Prax. Der Wettbewerbsdruck wird zunehmen. „Alle Spieler im Markt haben die Chance, den Schritt zum Financial Home zu gehen.“

 

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