Cyber- und ESG-Sorgen sowie eine drohende Rezession

  • Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) beleuchtet makroökonomische Risiken wie Inflation und Insolvenz und deren Auswirkungen auf die Managerhaftpflichtversicherung (Director‘s and Officer’s/D&O-Versicherung)
  • Cyber- und ESG-Risiken führen zu einer zunehmenden Zahl von Klagen und Rechtsstreitigkeiten gegen Unternehmen und ihre Vorstände
  • Die USA bleiben ein Hotspot für Aktionärsklagen – trotz rückläufiger Tendenz bei neu eingereichten Wertpapier-Sammelklagen
  • Der Markt für D&O-Versicherungen hat sich zu Gunsten der Käufer verändert, aber die Inflation und das aktuelle Risikoumfeld bedeuten, dass das Potenzial für häufigere und schwerere Schäden bestehen bleibt

Was sind aktuell die wichtigsten Auslöser für Klagen gegen Unternehmen und ihre Vorstände von Investoren oder anderen Stakeholder-Gruppen? Ein schlechtes finanzielles Ergebnis oder sogar eine Insolvenz inmitten wirtschaftlicher Unsicherheit und der Aussicht auf eine globale Rezession, ein Mangel an robusten Cybersicherheits- und Governance-Prozessen oder eine nicht rechtskonforme Reaktion auf Umwelt-, Sozial- und Governance-Standards (ESG) gehören laut Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) zu den wichtigsten Risikotrends im Bereich der Managerhaftpflichtversicherung (D&O-Versicherung). Trotz eines Abwärtstrends bei neu eingereichten Klagen bleiben Wertpapiersammelklagen in den USA ein großes Risiko, insbesondere im Zusammenhang mit Fusionen oder mit Geschäften rund um Kryptowährungen, wie der jährliche D&O-Bericht des Versicherers ebenfalls feststellt.

„Der jüngste Rückgang der Zahl der Aktionärsklagen in den USA in Verbindung mit dem Eintritt neuer Wettbewerber hat ein günstigeres Umfeld für die Käufer von D&O-Versicherungen geschaffen, nachdem die Prämien in den wichtigsten Märkten im Jahr 2021 im zweistelligen Prozentbereich gestiegen waren“, erklärt Vanessa Maxwell, Global Head of Financial Lines bei AGCS. „Es gibt jedoch weiterhin beachtliche Risiken für die Versicherer, da makroökonomische Probleme und eine mögliche Rezession drohen – das sind Bedingungen, die typischerweise zu einem Anstieg der D&O-Schadenfälle führen. Die generelle Inflation wird sich durch höhere Vergleichszahlungen und Verteidigungskosten auch im Bereich D&O auswirken. Cyberrisiken bleiben auf einem hohen Niveau und eine umfassende Antwort darauf gilt mittlerweile als eine der Hauptpflichten von Vorständen. Top-Manager sollten auch ESG-bezogene Haftungsrisiken im Blick behalten – beispielsweise wegen unzureichender Maßnahmen gegen den Klimawandel oder für Diversität und Inklusion.“

Energiekrise, kaum Wachstum, volatile Aktienmärkte – das wirtschaftliche Umfeld ist düster

Für viele Länder sind die wirtschaftlichen Aussichten für 2023 düster und das Rezessionsrisiko steigt. Einbrechende Wachstumsraten, steigende Inflation, die Energiekrise, die anhaltende Volatilität der Aktienmärkte und weiter bestehende Probleme in den Lieferketten werden von D&O-Versicherern genau beobachtet, da sie in vielen Sektoren zu Liquiditätsengpässen führen, die Profitabilität schwächen und die Zahl der Insolvenzen erhöhen könnten.

Die Hälfte der von Allianz Research für die regelmäßigen Insolvenzprognosen analysierten Länder verzeichnete in der ersten Hälfte des Jahres 2022 einen zweistelligen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen, wobei zwei Drittel des Anstiegs auf den KMU-Sektor in Großbritannien, Frankreich, Spanien, den Niederlanden, Belgien und der Schweiz entfielen. Insgesamt wird erwartet, dass die Insolvenzen im Jahr 2023 weltweit um +19 % zunehmen werden.

Ein wirtschaftlicher Abschwung bringt in der Regel ein höheres Risiko von D&O-Schäden mit sich, wie Analysen während der Finanzkrise zeigen: Eine Studie des Maklers Marsh ergab, dass zwischen 2005 und 2007 in Großbritannien durchschnittlich 200 bis 300 D&O-Ansprüche gemeldet wurden. Mit dem Ausbruch der Finanzkrise stiegen die Schadenmeldungen um 75 % auf rund 500 im Jahr 2008 und erreichten 2012 einen Höchststand von über 1.600. Laut Advisen hatte sich in den USA 2011 die Zahl der Schadensmeldungen und Vollstreckungsmaßnahmen – ein Indikator für die Häufigkeit von D&O-Ansprüchen – auf über 2.000 verdoppelt, verglichen mit etwa 1.000 im Jahr 2006.

„Die Wahrscheinlichkeit, dass ein börsennotiertes Unternehmen im Rahmen einer Aktionärsklage belangt wird, steigt, wenn die finanzielle Leistung schlecht ist, der Aktienkurs des Unternehmens fällt oder sogar die Gefahr eines Konkurses besteht. In solchen Szenarien könnten Investoren argumentieren, dass das Unternehmen es versäumt hat, die Herausforderungen offenzulegen, denen es sich gegenübersah, um seine Gewinnprognosen aufrechtzuerhalten. Dies kann die Grundlage von Klagen gegen das Management sein und damit zu Schadenfällen in der D&O Versicherung führen“, sagt Stephan Geis, Regional Head of Financial Lines für AGCS Zentral- und Osteuropa.

Cyber-Risikomanagement in der Verantwortung des Vorstands

Themen wie Datensicherheit und Informationsschutz sind dem Bericht zufolge heute Kernbereiche, auf die Geschäftsführer achten müssen. Investoren betrachten das Risikomanagement im Bereich der Cybersicherheit zunehmend als kritische Komponente der Sorgfaltspflicht eines Vorstandsmitglieds. Im Rahmen ihrer treuhänderischen Rolle wird von diesen erwartet, dass sie vor, während und nach einem Cybervorfall für ein angemessenes IT-Sicherheitsniveau sorgen. Vermeintliche Versäumnisse können als Pflichtverletzung angesehen werden.

„Auf der ganzen Welt wurden Geschäftsführer bereits zur Rechenschaft gezogen, unter anderem in abgeleiteten und direkten Klageverfahren, weil sie es angeblich versäumt haben, angemessene Schutzvorkehrungen gegen Cybergefahren zu etablieren. Darüber hinaus haben größere Sicherheitsverletzungen bei börsennotierten Unternehmen das Vertrauen der Anleger geschädigt, was zu Kurseinbrüchen und damit zu „Ereignissen“ geführt hat, die wiederum Aktionärsklagen zur Folge hatten. Vorstände müssen daher ein ganzheitliches Cyber-Risikomanagement etablieren, das das gesamte Unternehmen abdeckt“, sagt Geis.

Ermittlungen von Aufsichtsbehörden oder Prozessrisiken im Zusammenhang mit ESG-Themen sind ein weiterer Sorgenfaktor für Vorstände, vor allem mit Blick auf die zunehmenden Berichts- und Offenlegungspflichten und Compliance-Anforderungen, aber auch durch die steigende Zahl von Klagen von Umwelt- oder Klimagruppen oder aktivistischen Investoren. Die Zahl der Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Klimawandel nimmt zu: In den letzten acht Jahren wurden international über 1.200 Klagen eingereicht, verglichen mit knapp über 800 Fällen zwischen 1986 und 2014. Die meisten dieser Fälle wurden in den USA registriert, gleichzeitig nimmt die Zahl der Klagen vor internationalen Gerichten zu: 2021 wurde die höchste jährliche Zahl von Klima-Klagen außerhalb der USA verzeichnet. Ein weiteres Risiko ist die falsche Darstellung von ESG-Leistungen oder -Ergebnissen – das sogenannte Greenwashing –, das ebenfalls zu regulatorischen Maßnahmen, Rechtsstreitigkeiten, und Aktionärsklagen führen kann.

„ESG-bezogene Informationen werden für Versicherer zunehmend zu einem wichtigen Prüfpunkt bei der Risikobewertung eines Unternehmens. Unternehmen mit einer klaren ESG-Strategie werden es einfacher haben, von Versicherern die benötigten Kapazitäten zu erhalten“, sagt Geis.

Rechtsstreitigkeiten auf dem US-Markt

Das Risiko von Rechtsstreitigkeiten ist für Unternehmen, die ihren Sitz in den USA haben oder dort geschäftlich tätig sind, besonders hoch. Während die Häufigkeit der Wertpapier-Sammelklagen in den USA seit 2019 rückläufig ist und sich dieser Abwärtstrend 2022 voraussichtlich fortsetzen wird, ist die Gesamthöhe der geltend gemachten Schäden sprunghaft angestiegen. Zwar ist die Bewertung der angeblichen Anlegerverluste nicht generell für alle Fälle gestiegen, doch stellen einige wenige sehr große Verluste im Jahr 2022 einen unverhältnismäßig höheren Anteil an den gesamten behaupteten Aktionärsverlusten dar als im historischen Durchschnitt der letzten 20 Jahre. Nach Angaben von Cornerstone Research machen Klagen gegen nur drei Unternehmen der Kommunikationsbranche so viele angebliche Anlegerverluste aus wie die Summe aller im Jahr 2021 eingereichten Aktionärsklagen.

Kryptosektor zunehmend im Visier

Ein weiterer neuer Trend:  Es werden zunehmend Kryptowährungsunternehmen und -börsen ins Visier genommen (10 Klagen wurden in der ersten Jahreshälfte 2022 eingereicht, verglichen mit 11 im gesamten Jahr 2021, 13 im Jahr 2020 und vier im Jahr 2019). Dies mag angesichts der jüngsten Schwankungen bei der Bewertung digitaler Währungen, dem Zusammenbruch der weltweit zweitgrößten Kryptowährungsbörse FTX im November 2022 sowie zahlreicher Ermittlungen wegen möglicher Verstöße gegen Wertpapiergesetze nicht überraschen.

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