Handelsstreit und Brexit belasten Märkte kaum noch

 

Das Kapitalmarktumfeld bleibt aussichtsreich. Jens Wilhelm, im Vorstand von Union Investment zuständig für das Portfoliomanagement, sieht für das Börsenjahr 2020 gute Startbedingungen. „Geopolitische Risikofaktoren wie Handelsstreit und Brexit sollten sich beruhigen“, meint er. „Die Geldpolitik bleibt locker, verliert aber an Wirkung. Für die Börsen kommt es 2020 damit stark auf die Konjunktur an.“ Wilhelm erwartet zwar ein langsameres Wachstum als in den Vorjahren, rechnet aber nicht mit einer Rezession. „Es spricht viel für chancenorientierte Anlagen“, folgert er.

Das Jahr 2019 war stark durch Geo- und Geldpolitik geprägt. „Die Märkte pendelten zwischen unterstützenden Zentralbankimpulsen und politischen bzw. geopolitischen Störfeuern“, beschreibt Wilhelm die dominierenden Kurstreiber des Jahres. „Beide Faktoren verlieren 2020 an Zugkraft. Die Konjunktur gewinnt am Kapitalmarkt an Bedeutung, während das Spannungsfeld von Geldpolitik und Geopolitik an Bedeutung verliert.“

Schwaches Wachstum, aber keine Rezession

Die Weltwirtschaft wird sich 2020 weniger dynamisch entwickeln: „Wir rechnen mit einer Abschwächung des Wachstumstempos, sowohl in den USA als auch in der Eurozone. Das ist nicht schön, aber auch keine Katastrophe“, erläutert Wilhelm. Für 2020 prognostiziert er eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,8 Prozent im Euroraum, nach 1,1 Prozent 2019. Auslöser ist der lahmende Welthandel, der die Exportnation Deutschland besonders hart trifft. Demnach dürfte die größte Volkswirtschaft Europas nur um 0,6 Prozent wachsen (2019: 0,5 Prozent).

Nachdem sich die US-Konjunktur lange sehr robust zeigte, sollte sich 2020 auch in den Vereinigten Staaten das Wachstum auf 1,6 Prozent verlangsamen. Ursachen für den Rückgang sind neben den nachlassenden Effekten der Unternehmenssteuerreform von 2017 die Folgen des Handelsstreits mit China. „Die US-Volkswirtschaft wurde mittlerweile von der anhaltenden Unsicherheit über die künftigen Beziehungen mit diesem wichtigen Handelspartner erfasst“, analysiert Wilhelm. „Die Folgen des Handelsstreits machen vor niemandem Halt, auch nicht vor seinen Verursachern.“

Eindämmung, aber keine Lösung im Handelsstreit

Die jüngste Annäherung zwischen Washington und Peking bewertet Wilhelm positiv. „Im anstehenden Wahljahr kann sich US-Präsident Trump weitere konjunkturelle Bremsspuren nicht leisten“, sagt er und erwartet eine konziliantere US-Position. Gleichzeitig ist auch China, das mitten im wirtschaftlichen Umbauprozess steckt, auf ein günstiges außenwirtschaftliches Klima angewiesen. Dies gilt umso mehr, als die chinesischen Wachstumsraten zuletzt hinter den Erwartungen zurückblieben. „Eine Eskalation im Handelsstreit ist damit fürs erste vom Tisch“, meint Wilhelm. Allerdings weist er darauf hin, dass sich der Streit um mehr als Zölle und Patente dreht. „Im Kern geht es um eine hegemoniale Auseinandersetzung zwischen zwei Supermächten. Dieser Gegensatz wird nicht verschwinden, auch nicht nach den US-Präsidentschaftswahlen im November 2020.“ Denn egal wer danach im Oval Office Platz nimmt, der Interessenkonflikt zwischen den USA und China bleibt bestehen.

Brexit: Geregelter Austritt, aber kein Ende der Unsicherheit

Beim Brexit verspricht die Unterhauswahl am 12. Dezember mehr Klarheit. „Gewinnt Boris Johnson die Wahl, dürfte er das als starkes Mandat für seinen Kurs interpretieren und Großbritannien Ende Januar aus der Europäischen Union führen. Das ist das wahrscheinlichste Szenario“, erläutert Wilhelm. „Für die Kapitalmärkte stehen die Zeichen beim Brexit auf Entspannung.“

Geldpolitik weiter locker, aber mit reduzierter Wirkung

Unterstützung erwartet der Kapitalmarktstratege außerdem von Seiten der Geldpolitik, vor allem in den USA. „Die Fed dürfte bei fortgesetzter Wachstumsabschwächung in der amerikanischen Volkswirtschaft mit zwei weiteren Zinssenkungen reagieren“, meint Wilhelm. Nach der jüngsten Lockerungsrunde aus Zinssenkung, Einführung von Staffelzinsen und Wiederaufnahme des Ankaufprogramms schätzt er die Möglichkeiten der Europäischen Zentralbank (EZB) hingegen als sehr begrenzt ein. „Das geldpolitische Umfeld bleibt angesichts weiter geringer Inflationsraten klar auf Wachstumsstimulation ausgerichtet.“ Dennoch geht Wilhelm davon aus, dass die Zentralbanken weniger markttreibend als 2019 wirken sollten: „Geschrumpfte Spielräume, ein abnehmender Grenznutzen und die flächendeckende Erwartung lockerer Geldpolitik an den Märkten dürften die Kurswirkung einschränken“, erklärt er.

Unternehmensanleihen, Schwellenländeranleihen und Aktien bieten Chancen

Damit bleibt auch 2020 das Negativzinsumfeld zementiert. „Wir rechnen nicht mit nachhaltig steigenden Zinsen“, sagt Wilhelm. Bei sicheren Papieren wie deutschen oder US-amerikanischen Staatsanleihen dürften die Renditen damit auf Jahressicht praktisch unverändert bleiben. In einem Umfeld lockerer Geldpolitik, eingedämmter geopolitischer Spannungen und schwachen Wachstums spricht daher aus Wilhelms Sicht viel für eine chancenorientierte Positionierung. „Carry-Anlagen, etwa Unternehmensanleihen aus dem Investment-Grade-Bereich oder Staatsanleihen der Emerging Markets sind attraktiv, da sie von den Veränderungen bei Geo- und Geldpolitik besonders profitieren“, skizziert er die Aussichten auf der Rentenseite.

Auch Aktien zählt Wilhelm weiter zu den Anlagefavoriten, wenngleich hohe Bewertungen und geringeres BIP-Wachstum das Kurspotenzial begrenzen. „Die Unternehmensgewinne fallen als Anschieber der Aktienmärkte nahezu weg. Wir liegen mit unseren Berechnungen deutlich unter den Konsensschätzungen der Analysten“, sagt Wilhelm. Gleichzeitig verweist er auf das ruhigere Umfeld und die damit verbundene Aussicht auf höhere Bewertungen. „Aktien sind attraktiv, weil sie über Dividenden höhere laufende Erträge als andere Assetklassen generieren. Das wird sich im Jahresverlauf kurstreibend auswirken“, meint er und sieht auf globaler Ebene weiteres Aufwärtspotenzial. Auch Immobilien schätzt Wilhelm im Negativzinsumfeld als interessante Anlageklasse ein. „Die Beschaffung renditeträchtiger und zugleich wertbeständiger Objekte wird allerdings immer schwieriger“, schränkt er ein. Investoren rät er daher, über neue Vehikel, Nutzungsarten und Anlagestile nachzudenken.

Selektion und Aktivität bleiben Erfolgsfaktoren

Besondere Bedeutung dürfte angesichts generell eingeschränkter Ertragsperspektiven nach Einschätzung Wilhelms die sorgfältige Selektion erlangen: „Das Muster ist bereits deutlich sichtbar bei Hochzinsanleihen: Gute Namen sind gefragt, schlechte Werte werden abverkauft.“ Diese Dispersion sollte in einem Umfeld schwächerer Makrotreiber noch zunehmen. „Selektion und Aktivität sind Schlüsselfaktoren für den Anlageerfolg 2020“, resümiert Wilhelm.

 

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