Joseph V. Amato, Neuberger Bermans President und CIO Equities, äußert sich in seinem aktuellen Kommentar zu den Hintergründen der andauernden Inflation.

 

Er beleuchtet, inwiefern die unterschiedlichen Sichtweisen des Marktes und der Zentralbanken auf die Problematik die Situation verschärfen:

Die Herausforderung der angebotsgetriebenen Inflation

  • Neuberger Berman sieht Gründe für die Inflation sowohl auf der Nachfrage- als auch der Angebotsseite
  • Mangelnde Logistikkapazitäten werden als wesentlicher Faktor für den Preisdruck gesehen
  • Neuberger Berman rechnet dieses Jahr mit anhaltender Volatilität

Wenn die jährliche Inflationsrate auf 7,5 Prozent zum Vorjahr steigt, wird sie zwangsläufig zu einem großen Thema. Es sind aber vor allem die besonderen Ursachen, die den derzeitigen Preisauftrieb so speziell – und vielleicht auch hartnäckig – machen. Vor allem für die Notenbanken wäre das eine Herausforderung.

Eine straffere Geldpolitik bringt weder LKW-Fahrer noch Fabrikarbeiter zurück an ihre Arbeitsplätze. Sie sorgt weder für zusätzliche Lagerkapazitäten noch für schnellere Containerschiffe oder effizientere Häfen, sodass der Rückstau abgebaut werden kann. Michael Barr aus dem Aktien-Recherche-Team bei Neuberger Berman kommt in seiner Datenanalyse aber zu dem Schluss, dass anders als in vergangenen Inflationsperioden, genau diese Faktoren zurzeit für den Preisauftrieb sorgen.

Logistikkapazitäten kommen nicht nach

Oft heißt es, die derzeitige Inflation sei angebots- und nicht nachfragegetrieben. Bei Neuberger Berman sieht man das grundsätzlich ähnlich. Es sei aber auch nicht verkehrt, die Gründe auf der Angebots- und Nachfrageseite gleichermaßen zu sehen.

Ein Großteil des Preisschocks scheint mit dem Siegeszug des E-Commerce während der Pandemie zu tun zu haben, der sich hartnäckig hält. Es gibt einfach nicht genügend Logistikkapazitäten. Nach Angaben der amerikanischen Zensusbehörde ist der E-Commerce in den USA 2020 um über 32 Prozent gewachsen, die Lagerfläche aber nur um 2 Prozent.

Auch die LKW-Kapazität hält kaum mit der neuen Nachfrage Schritt. Der Outbound Tender Reject Index (OTRI) der Plattform für Frachtdatenprognosen SONAR, der den Anteil der von Spediteuren abgelehnten Aufträge misst, stieg 2020 auf 25 Prozent. Ein kurzfristiger Anstieg ist nicht ungewöhnlich, wohl aber ein so hoher Wert über mehr als ein Jahr. Ähnliche Engpässe gibt es auch in der Produktion. Es spricht viel dafür, dass auch sie von Dauer sind.

Mit etwa 15.000 US-Dollar je 40-Fuß-Container (FEU) sind die durchschnittlichen Frachtraten für Ozeantransporte heute zehnmal so hoch wie vor der Pandemie, schreibt SONAR – und das, obwohl laut Alphaliner nur zwei Prozent der internationalen Containerschiffflotte zurzeit stillliegt. Und mehr noch: Den Terminmärkten nach zu urteilen werden die Frachtraten auch 2024 noch über 8.000 US-Dollar betragen.

Selbst wenn man so viel zahlen will, könnte die Löschung der Fracht scheitern: Normalerweise liegen vor den Häfen an der amerikanischen Westküste etwa 15 bis 20 Schiffe auf Reede. Zu Jahresbeginn waren es nach Angaben der Hafenbehörde in Los Angeles über 100. Seitdem hat der Stau saisonbedingt etwas nachgelassen, aber noch immer ist die Warteschlange ungewöhnlich lang. Ob sich das bald normalisiert, ist schwer abzuschätzen.

Steigende Preise bringen geldpolitische Risiken

All das kann erklären, warum die amerikanische Produzentenpreisinflation im Januar über den Erwartungen der Volkswirte lag und der bereinigte Mittelwert der Verbraucherpreisinflation (ohne die größten Preisänderungen in beide Richtungen) so hoch ist wie noch nie seit Beginn der Erhebungen im Jahr 1983. Dabei geht es nicht nur um Energie und Gebrauchtwagen – die Gebrauchtwagenpreise sind 2021 um 37,3 Prozent gestiegen –, sondern um das Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage in der gesamten Wirtschaft.

Bis jetzt haben sich Unternehmen und Verbraucher dadurch noch nicht allzu sehr aus der Ruhe bringen lassen. So berichtet der Finanzdatendienstleister FactSet, dass bis zu drei Viertel der S&P-500-Unternehmen in ihren Telefonkonferenzen für das vierte Quartal die Inflation erwähnt haben. Die Schätzungen der Nettogewinnmargen für dieses Jahr haben sich dennoch nicht geändert. Man scheint auf seine Preismacht zu vertrauen. Der überraschend starke Anstieg der amerikanischen Einzelhandelsumsätze im Januar spricht dafür, dass sich die Unternehmen nicht überschätzen.

Doch mit jeder Woche, in der die Preise weiter steigen, wachsen die geldpolitische Risiken für die Anleger. Zeit und Marktkräfte werden die Inflation irgendwann dämpfen, aber die derzeitigen Angebotsengpässe könnten zum Teil noch jahrelang Probleme machen. Schon letztes Jahr erklärte Neuberger Berman, dass ein Ende der 20-jährigen Niedriginflationsphase erwartet werde und die Teuerung in den nächsten Konjunkturzyklen strukturell höher sein dürfte.

Wenn moderate Zinserhöhungen die Teuerung nicht eindämmen, hat das mehr mit Schiffen auf Reede als mit übersteigerter Kauflust zu tun. Vielleicht riskiert die Fed wirklich eine zu schnelle Straffung, um die Inflation etwas zu dämpfen. Das sieht das Anleiheteam von Neuberger Berman allerdings anders und erwartet, angesichts der komplexen Mischung aus vorübergehenden und strukturellen Inflationstreibern, ein maßvolles Vorgehen. Zieht der Markt jedoch andere Schlüsse, droht Volatilität.

Gemeinsame Regeln: Halma oder Schach?

Und selbst wenn die Fed das für die USA Richtige tut, muss das für andere Länder nicht ideal sein. Faktisch ist die Fed die Notenbank der Welt. Vielleicht ist die für die USA angemessene Geldpolitik aber für andere Länder zu straff.

Obwohl der Energiepreisanstieg wegen des Ukraine-Konflikts wohl vor allem Europa trifft, sind die Angebotsengpässe in den USA aus einer Reihe von Gründen größer. So wurden in Europa während der Pandemie nur wenige Arbeiter entlassen, da in großem Stil auf Kurzarbeit gesetzt wurde. In den USA wurde hingegen das Arbeitslosengeld erhöht. Vielleicht ist das ein Grund für die Ungleichgewichte am US-Arbeitsmarkt und den großen Personalmangel.

Betrachten wir nur ein Beispiel aus der Lieferkette: Als die Weltbank und IHS Markit letztes Jahr ihren neuen Container Port Performance Index vorstellten, war der effizienteste amerikanische Hafen Philadelphia, auf Platz 83. Los Angeles stand auf Platz 328 von 351. Auf den oberen Rängen fanden sich Häfen in Asien, dem Nahen Osten und Nordafrika. Der effizienteste europäische Hafen war Algeciras in Spanien auf Platz 10.

All dies spricht dafür, dass Asien und Europa eine expansivere Geldpolitik vertragen könnten als die USA. Die Europäische Zentralbank könnte damit einen massiven Anstieg der Peripherieländerspreads verhindern. Die Bank of Japan könnte erreichen, dass die Wirtschaft weiterwächst, so wie im letzten Jahr, dem ersten Wachstumsjahr seit 2018. Auch könnte China den Abschwung dämpfen. Die People’s Bank of China lockert jetzt die Geldpolitik, während die Fed eine Straffung vorbereitet.

Für Neuberger Berman sind das die Gründe, weshalb die Anleger so sehr auf die Inflation, ihre Ursachen und die Verlautbarungen der Fed achten. Wenn die Notenbank aber nur die Nachfrageseite im Blick hat, während für die Wirtschaft Angebotsfaktoren im Mittelpunkt stehen, könnte es in den USA, aber auch weltweit Probleme geben. Es kann nicht gutgehen, wenn der eine Halma und der andere Schach spielt. Das ist einer der Gründe dafür, warum Neuberger Berman dieses Jahr mit anhaltender Volatilität rechnet.

 

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