Investoren müssen Sektoren mit politischen Risiken genau beobachten: Energie- und Finanzsektor, Pharma- und Technologiekonzerne sowie E-Commerce

 

In den letzten vier Jahren war es kaum möglich, dem amerikanischen Politzirkus zu entrinnen. Doch zuletzt drehte sich alles um COVID-19 und die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Die Auswirkungen der anstehenden US-Wahlen auf die Märkte halten sich daher noch in Grenzen, dabei sind es nur noch drei Monate bis zur Wahl.

Die Pandemie hat die Pläne für die Parteitage von Demokraten und Republikanern, also die traditionelle Wahlkampferöffnung, massiv durcheinandergebracht. Der demokratische Parteitag sollte schon vor drei Wochen stattfinden. Jetzt sind beide Kongresse für diesen Monat geplant, wesentlich kleiner und größtenteils virtuell. Aber ein virtueller Zirkus ist nun einmal nicht so laut und glamourös wie das Original.

Dennoch sollte man sich mit den Folgen des 3. November genauer befassen. Vor den Wahlen ist die Lage äußerst unsicher; die Gesundheits- und Wirtschaftsdaten fallen von einem Extrem ins andere. Und wenn die Kandidaten jetzt auf Stimmenfang gehen, erleben wir eine Polarisierung wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Siegeszug der Demokraten?

Die aktuellen Umfragedaten sprechen bisher für einen Sieg von Joe Biden und möglicherweise sogar für eine Mehrheit der Demokraten im Senat.

Auch die Vergangenheit spricht für die Demokraten: Calvin Coolidge war 1924 der letzte Präsident, der wiedergewählt wurde, obwohl er in den beiden Jahren vor der Wahl mit einer Rezession zu kämpfen hatte. Und seit 1900 sind Richard Nixon und George H. W. Bush die einzigen Präsidenten, die in der ersten Amtszeit ihr Amt übernahmen, ohne dass ihre Partei beide Kongresskammern kontrollierte.

Ein Siegeszug der Demokraten dürfte große Auswirkungen auf die Wirtschaft und Märkte haben. Der Politikwissenschaftler Dr. Sam Potolicchio machte folgende Beobachtung: In seinen 36 Jahren im Senat zählte Joe Biden stets zum Mainstream seiner Partei, egal, wie sie sich entwickelte. Zum derzeitigen Linksruck der Demokraten sagte Potolicchio: „Im Vergleich zu Biden geht Obama fast als Republikaner durch.“

Bidens Wahlprogramm enthält umfassende Unternehmens- und Einkommensteuererhöhungen sowie etliche Vorschläge zur Gesundheitspolitik, für mehr Regulierung, zum Umweltschutz und zur Infrastruktur.

Reaktion der Märkte

Die Märkte mögen aber keine Steuererhöhungen. Eine wichtige Maßnahme der Trump-Administration war die Senkung der Unternehmenssteuer auf ein ähnliches Niveau wie in anderen größeren Ländern. Analysten schätzen, dass die Gewinne je Aktie der S&P-500-Unternehmen dadurch um 8 bis 12 Prozent stiegen.

Wenn die Steuern jetzt wieder erhöht werden, dürfte das den Märkten schaden. Eine Faustregel besagt, dass beim S&P 500 je Prozentpunkt Steuererhöhung auch die Gewinne je Aktie um etwa 1 US-Dollar fallen. 2019 betrugen die Gewinne je Aktie im Schnitt etwa 165 US-Dollar.

Die geplanten Ausgabenprogramme sind weniger leicht einzuschätzen. Eine expansive Fiskalpolitik kann das Wirtschaftswachstum fördern, wenn sie denn durchdacht und zielgerichtet ist. Aber auch hier lehrt die Vergangenheit, dass man bei politischen Maßnahmen skeptisch sein muss. Erinnern Sie sich noch an „Cash for Clunkers“, die amerikanische Variante der Abwrackprämie? Sorgen macht auch das schon jetzt extreme Haushaltsdefizit.

Außerdem gibt es weniger „Checks and Balances“, wenn eine Partei den Kongress kontrolliert. Im Senat mit seiner traditionellen Filibuster-Regel sind faktisch 60 Stimmen nötig, um ein Gesetz zu verabschieden. Die Demokraten könnten den Senat übernehmen, doch dürfte es kaum für 60 Sitze reichen. Vielleicht kommen sie dann aber auf die Idee, die Regel zu ändern oder abzuschaffen, damit in Zukunft 51 Stimmen reichen. All das steht am 3. November auf dem Spiel.

Provokante Pläne Trumps?

Und was plant der Amtsinhaber? Je weiter er in den Umfragen zurückliegt, desto provokanter könnten seine Entscheidungen werden.

Vielleicht streut er Zweifel an der Korrektheit der Wahlen. Dr. Potolicchio schließt nicht einmal aus, dass Trump vielleicht gar nicht mehr antritt. Und selbst wenn der Präsident verstärkt auf Themen setzt, mit denen er auch den Demokraten gefallen kann, muss das nicht unbedingt wirtschaftsfreundlich sein.

Die US-Politik ist gespalten wie selten, aber zwei Dinge finden bei Demokraten und Republikanern gleichermaßen Zustimmung: Eine harte Haltung gegenüber China und, wie die jüngsten Anhörungen im Kongress gezeigt haben, Maßnahmen gegen die großen Technologiekonzerne.

Zurzeit kauft China nicht so viele US-Güter wie im Rahmen des ersten Handels-Teilabkommens zugesagt. Könnte Trump dies als Vorwand nutzen, um die Handelsvereinbarung insgesamt zu kippen? Und dann ist da noch die bizarre TikTok-Affäre, in der die Abneigungen gegen China und die großen Tech-Konzerne zusammenkommen. Will man gegenüber dem Technologiesektor jetzt zunehmend die Muskeln spielen lassen?

Politische Risiken

Massive Liquiditätsspritzen lassen den Nasdaq Index auf ein Allzeithoch steigen und auch der S&P 500 Index nähert sich wieder seinen alten Höchstständen. Auch deshalb fragen wir uns, inwieweit diese möglichen Entwicklungen eigentlich in den Kursen eingepreist sind. Vielleicht ist die jüngste Dollarschwäche ein erster Hinweis darauf. So oder so sollte man Sektoren mit politischen Risiken genau im Blick behalten: Dazu gehören der Energie- und Finanzsektor, E-Commerce sowie Pharma- und Technologiekonzerne.

Die US-Wahlen waren dieses Jahr noch kein großes Thema, aber das dürfte sich ändern. Investoren sollten sich von der Ruhe vor dem Sturm nicht täuschen lassen und vorbereitet sein, wenn die Show beginnt und die Märkte die Wahlen nicht länger ignorieren.

 

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