Biotechnologie: eine multidisziplinäre Antwort auf die COVID-19-Pandemie

 

Die SARS-CoV-2-Pandemie hatte tiefgreifende Auswirkungen auf unser Leben. Wissenschaft, Forschung und das Gesundheitswesen demonstrierten eine außergewöhnliche Fähigkeit, Kräfte zu bündeln und aktiv zu werden, um schnell tragfähige Lösungen zu finden. Diese Reaktion basiert auf jahrelanger Forschung in verschiedenen Bereichen, die sich nicht nur auf Immunologie und Virologie beschränken, sondern auch Krebsforschung, Biotechnologie, Molekularbiologie und Genetik umfassen. Ohne die über viele Jahre hinweg angehäufte multidisziplinäre Wissensbasis und das äußerst effektive Biotech-Ökosystem, das von Biotech- und Pharmaunternehmen in Partnerschaft mit universitären Forschungszentren entwickelt wurde, hätten die klinischen Studien zu den Impfstoffen und therapeutischen Antikörpern nie so schnell abgeschlossen werden können.

Schnelle und wirksame Antikörper: das Ergebnis jahrzehntelanger Forschung

Die technologischen Fortschritte der letzten 30 Jahre haben es möglich gemacht, schnell monoklonale Antikörper zu isolieren, zu entwickeln sowie zu produzieren und somit einen ergänzenden Ansatz zur Impfstoffentwicklung zu bieten. Zur Entwicklung der neutralisierenden Antikörper gegen SARS-CoV-2 wurden so gut wie alle in akademischen und pharmazeutischen Labors eingesetzten Methoden zur Antikörperentdeckung angewendet. Die Antikörper mit den besten Eigenschaften und der höchsten Potenz stammen von geklonten B-Lymphozyten, die aus dem Immunsystem rekonvaleszenter Patienten oder aus humanisierten Mäusen isoliert wurden. Monoklonale Antikörper, die größte Klasse biologischer Therapeutika, gehören zu den mächtigsten Werkzeugen der modernen Medizin. Heute haben über 100 von der US-amerikanischen FDA (Food and Drug Administration) zugelassene Antikörper die Behandlung und Prävention von Krebs sowie Autoimmun- und Infektionskrankheiten verändert. Der erste dieser therapeutischen monoklonalen Antikörper, erhielt 1986 die Zulassung.

Diese Fortschritte läuteten die Ära der Präzisionsmedizin und der langfristigen Dominanz von Onkologie-Produkten im Antikörpermarkt ein, bis Kinase-Hemmer und die Gentherapie hinzukamen. 2019 befanden sich unter den zehn meistverkauften Medikamenten sieben Antikörper, die überwiegend den onkologischen Bereich betrafen. Im Laufe der Zeit hat die Massenproduktion den Markt revolutioniert. Die geschätzten Selbstkosten sind von ca. 300 Dollar pro Gramm Antikörper auf bis zu 20 Dollar gesunken, wenn die Herstellung in einer großen Anlage erfolgt, die rund zehn Tonnen pro Jahr produziert. Heute, wo die weltweite Produktionskapazität für monoklonale Antikörper drei Millionen Liter übersteigt, sind bereits 25 Standorte in der Lage, dieses Kriterium zu erfüllen. Die Bioreaktoren können an alle Arten von rekombinanten Antikörpern zur Behandlung verschiedener Krankheiten, von Krebs bis hin zu Virusinfektionen, angepasst werden.

Antikörper können zur Prophylaxe, als Therapeutikum oder zur passiven Immunisierung bei Nichtverfügbarkeit eines Impfstoffs für eine Viruserkrankung eingesetzt werden. Die monoklonalen Antikörper, die SARS-CoV-2 neutralisieren, sind mit beispielloser Geschwindigkeit in die Phase der klinischen Prüfung gelangt – bis zum Frühjahr 2020 hatten bereits über 50 Gruppen Antikörperprogramme auf Basis ausgefeilter Plattformen in der Biotech-Industrie entwickelt. Die präklinischen Studien wurden dreimal schneller beendet, als es bei antikörperbasierten Therapien sonst üblich ist. Eine Methode zur Entdeckung dieser Antikörper bestand darin, Immunzellen von rekonvaleszenten Patienten zu filtern. Andere Ansätze basieren darauf, den genetischen Code des Virus als Ausgangspunkt zu verwenden, um die spezifischen viralen Proteine im Labor herzustellen und Mäuse zu immunisieren, um die Antikörperproduktion zu stimulieren. Der große Durchbruch ist hier die Verwendung von Mäusen, die gentechnisch mit einem menschlichen Immunsystem ausgestattet wurden. Diese Mäuse sind in der Lage, menschliche Antikörper zu produzieren, die das Stadium der klinischen Erprobung viel schneller erreichen können als Maus-Antikörper, da keine weitere genetischen Veränderung (Humanisierung) erforderlich ist, bevor sie sicher am Menschen getestet werden können.

Impfstoffe: Technologien verkürzen Zeit zwischen Entdeckung und Studien

Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels befinden sich 47 Impfstoffkandidaten in der Phase der klinischen Prüfung und über 155 in der präklinischen Bewertung. Die Idee hinter einer Impfung ist, den Körper einem Virus oder Virusfragmenten auszusetzen, um eine Immunantwort auszulösen. Einige innovative Lösungen gehen sogar noch weiter und bewirken, dass der Impfstoff selbst vorübergehend im menschlichen Körper produziert wird. Bisher sind die vielversprechendsten und fortgeschrittensten Lösungen Impfstoffkandidaten, die auf RNA- oder Vektorviren-Plattformen basieren. Bei diesen Ansätzen erhält der Körper die nötigen Anweisungen, um ein bestimmtes virales Protein herzustellen. Er nutzt seine eigenen Abwehrmechanismen zur Synthese eines Virusteils, um das Immunsystem zu „trainieren“. RNA-Impfstoffe wurden ursprünglich im Rahmen von therapeutischen Krebsimpfstoffen entwickelt, zahlreiche Produkte befinden sich inzwischen in klinischen Studien. Eine Alternative zur RNA ist auch die Verwendung von DNA, um dem Körper beizubringen, wie er sicher Virusfragmente herstellen kann, die die geimpfte Person gegen eine echte Infektion immunisieren sollen.

Die am weitesten fortgeschrittenen SARS-CoV-2-Impfstoffkandidaten wurden von Pharmafirmen entwickelt, die an therapeutischen Krebsimpfstoffen arbeiten. Dank der Entwicklung einer RNA-Produktionsplattform können diese Impfstoffe wesentlich schneller hergestellt werden. Bei den traditionellen Impfstoffen, die deaktivierte oder abgeschwächte Virusfragmente oder rekombinante Proteine verwenden, müssen produktspezifische Herstellungsprozesse entwickelt, optimiert, validiert und zugelassen werden, was zu erheblichen Verzögerungen führt. Auf der anderen Seite ermöglicht die Flexibilität der RNA- oder AAV-Plattformen die schnelle Produktion und Prüfung mehrerer Impfstoffvarianten, die unabhängig von der Zielkrankheit sind und keine größeren Prozessänderungen oder -neuvalidierungen erfordern. So können neue Impfstoffkandidaten etwa zehnmal schneller produziert werden. Moderna demonstrierte die Leistungsfähigkeit der RNA-Plattform, als die Firma nach der Bereitstellung der Informationen über die Gensequenz des Virus in nur 42 Tagen seine erste Charge von klinisch einsetzbarem Impfstoffmaterial produzierte, das für Tests am Menschen bereit war. Trotz der vielen Vorteile der RNA-Plattform im Hinblick auf Produktion und Kosten ist diese Technik noch unerprobt: Bis heute wurde kein kommerzieller Impfstoff auf Basis dieser Technologie entwickelt.

Viele Konzerne erweitern derzeit ihre Produktionsstätten, um Ende 2021 eine kumulierte globale Kapazität von fast 9 Milliarden Dosen anbieten zu können. Pfizer hat – zusammen mit der deutschen Firma BioNtech –  angeboten, etwa 1,3 Milliarden Dosen seines mRNA-basierten Impfstoffkandidaten im laufenden Jahr zu liefern. Moderna geht davon aus, dass bis zu 1 Milliarde Dosen zur Auslieferung bereitstehen werden, was 500 Millionen vollständigen Impfprogrammen entspricht. Der DNA-Impfstoffkandidat von AstraZeneca wird in 2 Milliarden Dosen produziert, von denen 700 Millionen Dosen bis Dezember bereitstehen dürften. Die Erforschung von Infektionskrankheiten und Lösungen zur Bekämpfung einer Pandemie können nicht als isolierte Disziplin betrachtet werden. Multiplattform-Technologien wie die Entdeckung monoklonaler Antikörper, die Gentherapie und die RNA-Herstellung haben zur präklinischen Entwicklung von therapeutischen Lösungen und Impfstoffen in einem beispiellosen Tempo beigetragen. Fortschrittliche Technologien, kombiniert mit der Forschung sowie einem umfangreichen Biotech-Ökosystem, haben es ermöglicht, zahlreiche therapeutische Produkte und Impfstoffe zu entwickeln und zu akzeptablen Kosten in Serie zu produzieren.

 

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