Kommentar von Paul O’Connor, Head of Multi-Asset und Portfolio Manager bei Janus Henderson Investors

 

 

  • Steigende Rohstoffpreise und der mögliche Einfluss auf die Weltwirtschaft verunsichern die Anleger zunehmend
  • Größte Befürchtungen in Europa durch starke Abhängigkeit von russischen Rohstoffen – Wachstums- und Inflationserwartungen reagieren stark auf Rohstoffpreise
  • Nachhaltiges Wiederaufleben des Investorenrisikos scheint unwahrscheinlich, solange kein realistischer Ansatz zur Deeskalation erkennbar ist

Die Auswirkungen des Konflikts in der Ukraine weiten sich aus und die humanitäre Lage ist bedrückend. Es wurden keine nennenswerten Fortschritte in Richtung einer militärischen oder politischen Deeskalation erzielt – vielmehr verschärft sich der politische Konflikt. Infolgedessen steigen die Schätzungen über die möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen des Konflikts:  Allein in den letzten Tagen einigten sich US-Gesetzgeber auf ein Verbot russischer Ölimporte und EU-Minister haben angekündigt, über die Ausweitung der Beschränkungen für Energieimporte zu beraten. Russland hat mit einer Reaktion gedroht, die schwerwiegende Auswirkungen auf die Erdgaslieferungen nach Europa haben könnte.

Es überrascht nicht, dass sich vor diesem Hintergrund die Stimmung an den Finanzmärkten weiter verschlechtert. Anleger sind zunehmend verunsichert durch die steigenden Rohstoffpreise und die möglichen Folgen für die Weltwirtschaft. Der nahezu senkrechte Anstieg der europäischen Erdgas-, Nickel- und Weizenpreise sowie der anhaltende Preisanstieg bei anderen Rohstoffen, verringern weiterhin die Risikobereitschaft für eine immer breitere Palette von globalen Finanzanlagen.

Rohstoff-Problem

Die größten Befürchtungen bestehen nach wie vor in Europa. Die Abhängigkeit von russischen Rohstoffen führt dazu, dass die Wachstums- und Inflationserwartungen sehr empfindlich auf die Rohstoffpreise reagieren. Angesichts des unbeständigen militärischen und politischen Hintergrunds erscheint eine Prognose der wirtschaftlichen Folgen des Konflikts spekulativ. Trotzdem haben einige Analysten die BIP-Wachstumsprognosen der Eurozone für 2022 bereits um 2 % gesenkt, um den Auswirkungen der Sanktionen und der Rohstoffknappheit Rechnung zu tragen. Selbst nach diesen Korrekturen wird für dieses Jahr immer noch ein reales BIP-Wachstum von 2 bis 3 % prognostiziert. Ein langanhaltender Konflikt mit monatelangen Auswirkungen auf die Rohstoffpreise könnte allerdings die Prognosen senken und ein europäisches Rezessionsszenario heraufbeschwören.

Kapitulation der Anleger

Während die Anleger diese Risiken neu zu bewerten versuchten, floss das Geld aus den Vermögenswerten der Eurozone ab. Der EURO STOXX 50 Index ist seit seinem Höchststand von Anfang Januar (5. Januar bis 7. März 2022) um 20 % zurückgegangen – mit größeren Rückgängen in konjunktursensibleren Sektoren wie der Automobilindustrie und den Banken. Die Daten zu den Mittelzuflüssen deuten auf eine Kapitulation der Anleger hin: Ende Februar verzeichneten börsengehandelte Fonds (ETFs) und Investmentfonds die größten wöchentlichen Nettoabflüsse aus europäischen Aktien, die es je gab.

Auch andere Marktkennzahlen zeigen den Umschwung in der Anlegerstimmung. Die Preise für Aktien- und Devisenoptionen deuten nun auf einen Pessimismus gegenüber den Assets des Euroraums hin. Ein Ausmaß, das zuvor nur in der US-Subprime-Krise, der Schuldenkrise im Euroraum und in den ersten Tagen der Corona-Pandemie zu beobachten war.

Die durchschnittliche Aktie der Eurozone werden jetzt mit einem Abschlag von 30 % gegenüber den 12-Monats-Kurszielen der Analysten gehandelt. In den letzten Jahrzehnten  wurden Abschläge in dieser Größenordnung nur in den drei zuvor erwähnten Krisen verzeichnet – Phasen der Rezession und erheblichen finanziellen Belastungen. Bewertungsindikatoren untermauern diese Aussage. Die Aktien der Eurozone werden jetzt auf einem 30-Jahres-Tiefststand gegenüber den US-Aktien gehandelt – ein Niveau, das zuletzt während der europäischen Finanzkrise verzeichnet wurde.

Es ist offensichtlich, viele schlechte Nachrichten bereits in den europäischen Aktien eingepreist sind. Solange der politische Ausgang noch so ungewiss ist, kann man sich auf die Einschätzungen der wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen des Konflikts nur schwer verlassen. Die Lage könnte sich noch wesentlich verschlechtern. Zu den beunruhigenden Szenarien gehören ein längerer Krieg, eine Ausweitung des Konflikts auf andere Länder oder eine Eskalation der eingesetzten Waffen.

Vor dem Hintergrund der sich in der Ukraine abspielenden menschlichen Tragödie erscheinen die Aussichten für die europäischen Finanzmärkte düster. Man kann leicht zu dem Schluss kommen, dass eine nachhaltige Belebung des Anlegerrisikos unwahrscheinlich ist, solange kein realistischer Ansatz zur Deeskalation sichtbar wird. Allerdings sind Finanzmärkte zukunftsgerichtet und Markterholungen nach geopolitischen Ereignissen haben oft auch dann stattgefunden, wenn die Risiken rund um ein Schlüsselereignis unverändert hoch waren. Angesichts des Pessimismus, der jetzt in den Assets der Eurozone eingepreist ist, könnte jeder Fortschritt in Richtung politischer Lösungen, die das Ausmaß des Konflikts verringern, ausreichen, um die Stimmung an den Märkten von Angst in Hoffnung umzuwandeln.

 

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