Kommentar von Michel Salden, Leiter Rohstoffe bei Vontobel Asset Management

 

Wenn die OPEC+ Anfang nächster Woche erneut zusammenkommt, wird die Organisation erdölexportierender Länder ihre bisherigen Rohölförderkürzungen voraussichtlich um mindestens drei bis sechs Monate verlängern. Schließlich muss die OPEC einen Ausgleich zwischen den kurzfristig schwächelnden Nachfrageperspektiven und dem Ziel einer sinnvollen Verknappung der Förderbedingungen bis Ende 2021 finden. Die kurzfristigen Aussichten sind aufgrund weiterhin stark steigender Infektionsfälle von COVID-19 in den USA und Europa schwach, wobei erneute Mobilitätseinschränkungen die Nachfrage nach Öl im Dezember um 1,5 Millionen Barrel pro Tag (mbpd) verringern werden. Das Wachstum der Erdölförderung außerhalb der OPEC (USA, Kanada, Mexiko, Brasilien) ist zudem sehr eingeschränkt, was bis Ende 2021 zu knapperen Angebotsbedingungen führen dürfte.

Obwohl die Lage in Europa und den USA derzeit noch auf eine schleppende Erholung der Ölnachfrage hindeutet, zeigen die Daten aus Asien, dass eine Normalisierung durchaus auch schneller kommen kann, als der Markt erwartet. Tatsächlich haben sich die Inlandsflüge in China bereits vollständig normalisiert. Allerdings ist die weltweite Kerosinnachfrage immer noch um 3 bis 4 mbpd niedriger als 2019, doch ein erfolgreiches Impfprogramm wird die Mobilität fördern und könnte die Ölnachfrage in der zweiten Hälfte des Jahres 2021 wieder auf das Niveau von 2019 von 100 mbpd heben.

OPEC könnte westlichen Ölgesellschaften Marktanteile wegnehmen

Selbst wenn die OPEC im Sommer 2021 mit der Lockerung der Förderkürzungen beginnt, können die Förderbeschränkungen von 7,7 mbpd nur in vierteljährlichen Schritten von maximal 2 mbpd pro Quartal rückgängig gemacht werden. Dies bedeutet, dass die OPEC die Produktion von derzeit 24 auf 30 mbpd bis Ende 2021 erhöhen könnte. Allerdings muss sich die Organisation noch darauf einigen, wie viel von dieser schrittweisen Produktionssteigerung für die kürzlich wieder aufgenommene libysche Erdölförderung verwendet werden soll, um die Zusammenarbeit innerhalb der Organisation aufrechtzuerhalten und die Effektivität der OPEC zu gewährleisten. Libyen ist vor kurzem an den Markt zurückgekehrt und hat seine Rohölproduktion wieder erhöht, nachdem ein Waffenstillstand im vom Bürgerkrieg geplagten Land vereinbart werden konnte. Die lybischen Öllieferungen sind jedoch noch nicht in den derzeitigen Quotenzuteilungen berücksichtigt.

Wenn die Produktionssteigerung im nächsten Jahr realisiert wird, könnte die OPEC den westlichen Ölgesellschaften Marktanteile streitig machen. Das erhöhte Nachhaltigkeitsbewusstsein von Anlegern erschweren den westlichen Ölgesellschaften den Zugang zu langfristigen Finanzierungen, was letztlich ihre Produktionskapazitäten bedroht. Staatliche Ölgesellschaften, die hauptsächlich in Schwellenländern angesiedelt sind, sind nicht dem gleichen Druck ausgesetzt. Ihre Regierungen veranlassen sie sogar dazu, ihre Produktion zu erhöhen.

Darüber hinaus planen sowohl China als auch Indien den Ausbau der strategischen Lager- und Raffineriekapazitäten im Jahr 2021. Saudi-Arabien und Russland wollen strategische Lieferanten für beide Länder werden, weshalb die Verteidigung des Marktanteils während dieses strategischen Energieausbaus ein kurzfristiges, aber wichtiges Ziel der OPEC sein wird.

Aktuelle Rallye ist verfrüht

Derzeit erleben die Ölmärkte im Vorfeld der OPEC-Konferenz eine starke Preisrallye. Da sich aber die Positionierung an den Öl-Futures-Märkten noch verhalten gestaltet, scheint diese Rallye etwas verfrüht. Reales Aufwärtspotenzial auf das Preisniveau von 50 bis 55 US-Dollar wird sich wahrscheinlich erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2021 einstellen. Ein Überschreitung der Spanne von 55 bis 65 US-Dollar ist allerdings erst dann möglich, wenn die globalen Ölbestände (derzeit immer noch rund 8 Prozent über dem Normalwert) aufgrund der Stärke der Öl-Futures-Kurve schnell abnehmen (Abwicklung von Lagergeschäften) und die Luftfahrtindustrie wieder beginnt, sich für eine Zunahme des Luftverkehrs abzusichern (mittels Kauf von Futures).

 

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