Der Ombudsmann für Versicherungen, Dr. h. c. Wilhelm Schluckebier, ehemaliger Richter des Bundesverfassungsgerichts, stellte am 17. Mai 2022 in Berlin den Jahresbericht 2021 vor.

 

Die als selbstständiger Verein organisierte Verbraucherschlichtungsstelle behandelt seit über 20 Jahren Beschwerden aus allen Versicherungssparten, ausgenommen der Privaten Kranken- und Pflegeversicherung. Im Grußwort zeichnet der scheidende Vorsitzende des Beirats, Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Jürgen Basedow, das Bedürfnis für die Schlichtungsstelle nach. Er charakterisiert sie als Institution des Verbraucherschutzes, die mittlerweile mit einem festen Mandat versehen sei. Zum ersten Mal informierte Constantin Graf von Rex über die Statistik und die Entwicklung des Vereins. Er hat am 1. Februar 2022 die Geschäftsführung des Vereins übernommen. Im Jahr 2021 hätten die Schlichtungsstelle insgesamt 18.344 Beschwerden erreicht, wovon 14.106 zulässig gewesen seien. Gegenüber 2020 bedeute das einen Anstieg der zulässigen Beschwerden von 6,6 Prozent. Die Zunahme liege aufs Ganze gesehen im Rahmen üblicher Schwankungen. Sie gehe auf starke Zuwächse in den Sachversicherungen (Gebäude und Hausrat) sowie in der Lebensversicherung zurück. Diese beruhten vornehmlich auf zwei Sondereffekten. Die übrigen Sparten wiesen Rückgänge der Beschwerdezahlen auf. Dr. Schluckebier führte aus, der Anstieg in der Gebäude- und Hausratversicherung, der sich zugleich auf die Zunahme von Vermittlerbeschwerden ausgewirkt habe, sei auf eine konflikt-behaftete Umdeckungsaktion durch ein großes Vermittlerunternehmen zurückzuführen. Ein als Versicherungsmakler registrierter Vermittler habe einen von ihm verwalteten großen Vertragsbestand von dem bisherigen Versicherer auf andere Versicherer umgedeckt. Da der bisherige Versicherer die durch den Vermittler erfolgte Kündigung der bei ihm bestehenden Altverträge für unwirksam erachte, neue Verträge bei anderen Versicherern aber bereits ab-geschlossen und in Lauf gesetzt gewesen seien, hätten sich die Versicherungsnehmer doppelten Beitragsforderungen ausgesetzt gesehen. Insgesamt hätten sich allein im Jahr 2021 bereits über 290 Verbraucher an den Ombudsmann gewandt. Da oftmals mehrere Verträge betroffen seien und sich die Beschwerden sowohl gegen den Vermittler, als auch gegen den alten Versicherer richteten, summierten sich die Schlichtungsanträge auf über 800 Beschwerdevorgänge. Damit werde auch die Frage nach dem Risiko von Interessenkonflikten bei einem Modell aufgeworfen, bei dem der Versicherer die Vertragsverwaltung an einen Vermittler auslagere, der Vermittler zugleich aber als Makler gegenüber dem Kunden auftrete und auch von diesem mit weitgehenden Vollmachten ausgestattet sei.

Der Zuwachs in der Sparte Lebensversicherung beruhe darauf, dass unmittelbar vor Jahreschluss zwei spezialisierte Rechtsanwaltskanzleien insgesamt mehr als 800 Schlichtungsanträge eingereicht hätten, die ganz überwiegend Fälle des Widerrufs von Lebensversicherungsverträgen beträfen. Dies habe erkennbar auch dazu gedient, die Hemmung der Verjährung durch einen Schlichtungsantrag zu bewirken und sich dabei die niedrigschwelligen formalen Anforderungen an einen solchen Antrag im Verbraucherschlichtungsverfahren zunutze zu machen. Die Starkregenkatastrophe (Tief „Bernd“) im Juli 2021, so schilderte Dr. Schluckebier weiter, habe hingegen bislang nicht zu einem deutlichen Anstieg von Beschwerden geführt. Im Jahr 2021 seien lediglich 91 Beschwerden eingegangen, die fast ausnahmslos auch im Jahr 2021 hätten beendet werden können. Allerdings seien im Zusammenhang mit dieser Naturkatastrophe auch im laufenden Jahr weitere Beschwerden zu verzeichnen. In Bezug auf die Coronapandemie informierte Dr. Schluckebier darüber, dass sich aus der pandemischen Entwicklung und den getroffenen staatlichen Maßnahmen im Jahr 2021 keine spürbaren Effekte in den einzelnen Sparten ergeben haben. Auch in der Reiseversicherung haben sich die Beschwerdezahlen nach dem pandemiebedingten starken Anstieg im Jahr 2020 wieder normalisiert.

In der Lebens- und in der Rechtsschutzversicherung habe sich eine bereits in den Vorjahren festzustellende Entwicklung fortgesetzt, die vom Einfluss einer sich fortentwickelnden Rechtsprechung des EuGH, des BGH und der Oberlandesgerichte zu den Fällen des Widerrufs von Lebensversicherungs- und Verbraucherkreditverträgen wegen fehlerhafter Belehrungen oder Pflichtinformationen gekennzeichnet gewesen sei. Entscheidungen des EuGH hätten die Diskussion belebt und zu erweiterten Argumentationen in Beschwerdebegründungen anwaltlich vertretener Beschwerdeführer geführt. Der von den Versicherern in den Fällen des Widerrufs von bereits viele Jahre zuvor geschlossenen oder gar zwischenzeitlich erfüllten Verträgen häufig erhobene Einwand der Verwirkung des Widerrufsrechts sei ebenfalls immer wieder Gegenstand der Prüfung gewesen. Während die Instanzgerichte hier bei der Anerkennung des Verwirkungseinwandes großzügiger zu sein schienen, halte der BGH an seiner strikten Rechtsprechungslinie fest, der zufolge der Verwirkungseinwand nur bei Vorliegen besonders gravierender Umstände durchgreift. Eine rechtssichere Beurteilung solcher Sach-verhalte sei durch diese Entwicklung im Grenzbereich unverändert schwierig. Deshalb ließen sich diese Beschwerden oft nicht einer Entscheidung zuführen, sondern würden mit einem Schlichtungsvorschlag abgeschlossen. Soweit es um Beratungsmängel beim Abschluss von Verträgen gegangen sei, habe sich erneut gezeigt, dass die Beratungsdokumentationen häufig wenig aussagekräftig seien. Oft würden nur vorgedruckte Antworten angekreuzt. Dies könne im Konfliktfall zu Beweiserleichterungen für den Versicherungsnehmer oder gar zur Beweislastumkehr führen. Aussagekräftige Beratungsprotokolle, die auch auf konkret bedeutsame Punkte inhaltlich eingingen, würden allen Beteiligten nützen und bei Meinungsverschiedenheiten oft auch weiterhelfen. In der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung sei die Schadenfreiheitsklassen-Einstufung und deren Übertragung bei einem Versichererwechsel unverändert eines der Hauptthemen. Oft ginge es auch um unternehmensgebundene Sondereinstufungen. Das Schadenfreiheitsklassensystem bringe eine Vielzahl an Problemen mit sich. Eine Anpassung hin zu mehr verbraucherfreundlicher Transparenz könne häufige Unzufriedenheiten bei den Kunden vermeiden. Auch die „Nicht-Mitnahme“ von Sondereinstufungen im Fall des Versichererwechsels könne mitunter gegenüber den Kunden noch deutlicher kommuniziert werden. Der Jahresbericht steht zum Download auf der Website der Schlichtungsstelle bereit (www.versicherungsombudsmann.de).

 

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