Dass die beiden wichtigsten Notenbanken der Welt – die Federal Reserve Bank in den USA und die Europäische Zentralbank – in diesem Jahr eine neuerliche Zinswende vollziehen, gilt an der Börse als ausgemachte Sache.

Mittlerweile beschäftigt die Marktteilnehmer vielmehr, ob die EZB nicht der Fed zuvorkommt und zuerst einen Zinssenkungszyklus einläutet. Tatsächlich spricht einiges dafür. Was das für deutsche Goldanleger bedeuten würde.

Aktuelle Markteinschätzung von Önder Çiftçi, CEO der Ophirum Group

Es mehren sich die Anzeichen, zumindest aber die Spekulationen, dass die EZB noch vor der Fed mit einem Zinssenkungszyklus beginnen könnte. Die Gründe für diese Überlegungen liegen auf der Hand: Der Konjunktureinbruch ist in Europa ausgeprägter, die Inflation dafür niedriger als in den USA.

Erst vor kurzem hat die EU-Kommission ihre Wachstumsprognose zum bereits dritten Mal gesenkt und rechnet nur noch mit einem Wachstum von 0,9 Prozent für das laufende Jahr. Dabei zählt ausgerechnet Deutschland mit erwarteten 0,2 bis 0,3 Prozent Wachstum zu den Schlusslichtern in Europa. In den USA hingegen läuft die Wirtschaft deutlich besser. Erst Ende März hat die US-Notenbank ihre Wachstumsprognose für die US-Wirtschaft von 1,4 auf 2,1 Prozent für 2024 erhöht.

Während in den USA nun die Hoffnung wächst, dass eine Rezession ganz ausbleibt, bereitet die Inflation des Dollar weiter Sorgen – im Februar lag die Inflationsrate mit 3,2 Prozent nochmals über den Erwartungen. In Europa hat sich die inflationäre Lage jedoch weiter entspannt; im laufenden Jahr soll die durchschnittliche Inflation 2,7 Prozent nicht überschreiten. Europa ist damit ein gutes Stück näher am Inflationsziel von 2,0 Prozent als die USA.

Diesmal könnte die EZB vorpreschen

Vor diesem Hintergrund wäre es logisch, dass die USA zunächst weiter auf Zinssenkungen verzichten. Fed-Chef Jerome Powell deutete nach der jüngsten Zinsentscheidung an, dass die hohen Zinsen länger unverändert bleiben, als die Marktteilnehmer erwarten. Auf der anderen Seite des Atlantiks signalisierte EZB-Präsidentin Christine Lagarde, dass es im Juni ausreichend Sicherheit geben dürfte, um eine erste Zinssenkung zu beschließen. Doch noch haben sich weder Fed noch EZB auf ein Timing festgelegt.

Angenommen, die EZB senkt ihre Leitzinsen noch vor der Fed: Was bedeutet das für Goldanleger im Euro-Raum? Macht es für hiesige Goldanleger einen Unterschied, wenn die europäischen Zentralbanker ihren US-Kollegen zuvorkämen? Die Antwort: ja und nein, also ein klares Jein.

Warum ja? Sollte die EZB die Zinsen senken, würden für europäische (und damit deutsche Anleger) Zinsprodukte unattraktiver werden. Anleger würden Anleihen aufgrund sinkender Renditen eher meiden, was für gewöhnlich der Goldnachfrage zugutekommt. Der Aktienmarkt hingegen profitiert von sinkenden Zinsen. Allerdings beinhalten die Notierungen an den Aktienmärkten schon viel Zinssenkungsfantasie, dort ist nicht mehr viel Luft nach oben. Das Potenzial für Aktien hält sich somit in Grenzen. Sind Aktien und Anleihen für Anleger nicht mehr interessant, entsteht für Gold ein interessantes Umfeld, zumal an den Aktienmärkten nach den jüngsten Rekordständen auch das Rückschlagpotenzial zugenommen hat. Dadurch dürfte das Interesse an physischem Gold als Anlagealternative wieder zunehmen und die Nachfrage im Goldeinzelhandel steigen.

Sofern die EZB zuerst die Zinsen senkt, gilt das zumindest für Deutschland und die Euro-Zone. Hinzu kommt: Mit einer Zinssenkung durch die EZB sinkt tendenziell der Wert des Euro. Im gleichen Maß dürfte der US-Dollar etwas aufwerten. Gold, das weltweit in US-Dollar gehandelt wird, wird für Anleger aus der Eurozone teurer. In Euro würde der Goldpreis also steigen. Hier macht es also durchaus einen Unterschied, welche Notenbank zuerst die Leitzinsen senkt.

Die Notenbanken machen die Musik

Und warum es auf der anderen Seite keinen Unterschied macht, ob zuerst die Fed oder zuerst die EZB die Zinsen senkt? Nun, die Nachfrage nach Gold kommt nicht nur von europäischen Privatanlegern. Wer glaubt, die oben erwähnte anziehende Nachfrage der europäischen Goldkäufer im Einzelhandel hätte eine große Auswirkung auf den Goldkurs, macht einen Denkfehler. Es ist nämlich nicht die Nachfrage der kleinen Privatanleger, die die Musik macht und den Goldpreis bewegt, sondern die Nachfrage der großen institutionellen Investoren. Das haben die vergangenen Monate gezeigt, als die Käufe der internationalen Notenbanken die Notierung von Gold getrieben haben. In den vergangenen Jahren waren unter anderem die Zentralbanken von Russland und China regelmäßig die größten Goldkäufer auf dem Weltmarkt, sie haben ihre Goldreserven um zig Tonnen erhöht.

Derzeit deutet nichts darauf hin, dass die Notenbanken ihre Goldkäufe zurückfahren. Ob nun in der Euro-Zone die Zinsen gesenkt wurden oder nicht, spielt für diese Käufergruppe kaum eine Rolle. Auch Zinssenkungen in den USA sind für die Goldkäufe der Notenbanken eher nebensächlich, haben aber den Vorteil, dass sie den Dollarkurs drücken. Auf dem Weltmarkt wird Gold dann tendenziell günstiger.

Zwar kann die Nachfrage der institutionellen Goldanleger auf die Ankündigung von Leitzinssenkungen reagieren – doch ob zuerst in Europa oder in den USA gesenkt wird, dürfte letztlich keinen entscheidenden Unterschied machen. Dass eine frühe Zinssenkung der EZB den Goldpreis antreibt, ist nicht gesagt. Unter dem Strich ist die Zinsentwicklung in den USA für den globalen Goldhandel – und damit für den Goldpreis in US-Dollar – von größerer Bedeutung für die Kursentwicklung des Edelmetalls. Daneben spielen weitere wichtige Einflussfaktoren wie geopolitischen Risiken und Krisen, die Inflationsentwicklung oder der Dollar-Wechselkurs eine wichtige Rolle und können den Einfluss der Zinsentwicklung auf den Goldpreis in den Hintergrund drängen. Wer sein Gold langfristig als Vermögensversicherung und Krisenwährung halten möchte, sollte diese kurzfristigen Einflüsse besser ignorieren.

ÜBER DEN AUTOR

Önder Çiftçi ist Gründer und Geschäftsführer der Ophirum GmbH. Vor der Gründung des bankenunabhängigen Anbieters von Edelmetallen im Jahr 2010 war er bei verschiedenen Banken in führender Position tätig.

Verantwortlich für den Inhalt:

Ophirum GmbH, Friedensstr. 6-10, 60311 Frankfurt am Main, Tel: +49 69 21 999 744, www.ophirum.de